Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Und dann sagt Jauch zu der jungen Frau im Publikum: ‚Ich hatte Angst, als ich ihr Kopftuch gesehen habe'“ (aus: „NIUS“ vom 11.10.2025)
Muss man sich dafür schämen, als Günther Jauch in der Sendung „Wer wird Millionär?“ kurzzeitig zusammen zu zucken, wenn sich beim Inanspruchnehmen des Publikumsjokers eine Dame mit Kopftuch erhebt? Der Moderator tat es jedenfalls, gab sogar zu, eine gewisse Angst gehabt zu haben. Nach eigenen Eingaben fürchtete er, auf die zur Debatte stehende Frage um 50.000 Euro, was in Artikel 4 Absatz 3 GG verbrieft sei, eine Antwort mit Bezug zum Thema „deutscher Staatsangehörigkeit“ zu bekommen. Tatsächlich geht es in der entsprechenden Passage um die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Und doch ist es ein ehrliches Bekenntnis, dass wir als christlich sozialisierte Bürger in diesem Land völlig menschliche Regungen zeigen, die nichts mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu tun haben, wenn wir selbst in der Gegenwart des Jahres 2025 bei allem Facettenreichtum ins Stottern kommen. Sondern mit einem völlig rationalen Reflex, auf das Unbekannte mit einer gewissen Skepsis zu blicken. Es braucht keine Ausflüchte, um sich diesbezüglich zu erklären. Denn eine mit Nachdruck verordnete Integration wird in den Köpfen der Mehrheit nicht dadurch schneller verankert, dass wir einander mit der Erwartungshaltung unter Druck setzen, das Andersartige plötzlich als normal und homogen zu empfinden.
Mehr als nur ein Sprichwort: Gleich und gleich gesellt sich gern…
Identifikation findet vor allem dadurch statt, dass wir uns in unserem Gegenüber wiedererkennen. Tradierte Prägungen, religiöse Werte, gemeinsame Normen, äußerliche Symbole und verschiedene Erscheinungsformen sollen und müssen sich nicht negieren lassen. Ankerpunkte und Orientierung sind Similarität oder Äquivalenz. Kongruenz und Wesenseinheit zeichnen sich durch Parallelen, Verwandtschaft und Affinität aus. Differenzen hingegen auf Teufel komm raus passend zu machen, um dem ideologischen Zeitgeist der Toleranz gerecht zu werden, kann keine geeignete Methode sein, Friedseligkeit herbeizuführen. Assimilation in jeglicher Hinsicht, also von beiden Seiten, wird nicht gelingen, wenn sie übereilt oder ausufernd erzwungen werden soll. Dass seit 2015 eine Bruttozuwanderung von rund 16,5 Millionen Personen zu verzeichnen ist, macht noch einmal deutlich, wie obsessiv wir vor die Herausforderung gestellt sind, auf einem geografisch begrenzten Raum eine große Zahl höchst divergierender Ethnien unter einen Hut zu bringen. Es war der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt von der SPD, der sagte: „Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen“. Damals, noch 2004, hatte sich an dieser Aussage niemand gestoßen, weil man ihr pragmatisch wohl nur zustimmen kann.
Wer Zweifel und Skepsis an der Vielfalt negiert, wird auf Akzeptanz lange warten müssen!
Immerhin sagt uns der Verstand, dass völlige Vielfalt eine plumpe Utopie darstellt, wenn wir uns nicht ohne Grund und aus Erfahrung als Gewohnheitstiere bezeichnen, die kaum in ständigem Umbruch existieren können, weil sie von einer gewissen Kontinuität abhängig sind. Ob Herkunft, Brauchtümer oder Lebensweisen: Sie bleiben der bindende Kitt eines jeden Zusammenhalts, lassen bei einer Erosion irgendwann Spaltung und Spannung aufkommen. Der Philosoph Alasdair MacIntyre hatte bereits bemängelt: „Die pluralistische Gesellschaft ist ein moralisches Chaos, weil sie keine gemeinsame Sprache für Tugend hat“. Ist es nicht gar ein Stück weit naiv, korrelierende Ansprüche und widerstreitende Interessen durch die Doktrin der Akzeptanz leugnen zu wollen? Im Geiste von Hegel und Platon könnte man ausführen, dass nur Einheit einen funktionierenden Staat ermöglicht. Zerstreutheit führt hingegen zu Desillusion und Ernüchterung. Insofern ist es kein Anlass für Peinlichkeit, dem auf uns exotisch, fern oder welsch Wirkenden zunächst einmal mit einer gewissen Distanz zu begegnen, denn Vertrautheit kann überhaupt nur über einen langsamen Prozess der Annäherung geschaffen werden, dem nicht nur sämtliche Beteiligte Teilhabe und -gabe beisteuern. Sondern der vor allem freiwillig geschieht.