Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel AfD kritisiert rassistische Äußerungen von Scholz gegen schwarzen Politiker („Philosophia Perennis“ vom 12.02.2025)
Was waren die Befürchtungen groß, dass durch die vorgezogenen Abstimmungen ein verkürzter Wahlkampf nicht ausreichend genug wäre, den Souverän mit einer Vielzahl an Plakaten, Veranstaltungen und Ständen in der Fußgängerzone behelligen zu können, damit er am 23. Februar zum „richtigen“ Votum findet. Doch was man aus diesen Tagen lernen kann, dass weniger Zeit nicht unbedingt zu mehr Inhalt führt. Stattdessen findet die Nation eine Auseinandersetzung der verschiedenen Wettbewerber vor, die kaum schmutziger sein könnte. Es wird mit derart harten Bandagen gekämpft, dass der eigentlich auf Friedseligkeit ausgerichtete Deutsche offenbar wirklich genug hat von der Intensität an verwerflichen Fehltritten der Protagonisten. Dass die Nerven bei Medien, Kandidaten und dem Volk blank liegen, erklärt sich auch mit der Tatsache, wonach es von Anfang an kaum Argumente in der Inhalt vermissenden Debatte und Auseinandersetzung gab. Stattdessen wurde polarisiert und gespalten, der Wortschatz immer rabiater und absurder. Plötzlich war sogar Friedrich Merz ein Nazi, weil er es mit Blick auf die völlig entglittene Migration auf eine von der Mehrheit der Bürger augenscheinlich unterstützte wie pragmatische Abstimmung mit der AfD ankommen ließ.
Dieser Schritt wird ihm von links wohl genauso nachgetragen werden wie Angela Merkel der Tabubruch aus dem Jahr 2015 von rechts. Während es im zweitgenannten Fall überaus angemessen ist, „Mutti“ für die Grenzöffnung auf Ewigkeit unverzeihlich gegenüberzustehen, erweist sich der erstgenannte Vergleich als paranoid. Doch selbst der Bundeskanzler macht keinen Halt davor, sich in diesem Duktus moralisch zutiefst verwerflicher Parallelisierungen zu bedienen, wenn er auf einer mehr oder weniger privaten Party vermeintlich ohne jegliche Scham der CDU nicht nur einen latenten wie strukturierten Rassismus unterstellt haben soll. Den dunkelhäutigen Berliner Kultursenator der Christdemokraten bezeichnete er dem Vernehmen nach als „Hofnarr“ der Partei, der lediglich als Feigenblatt diene. Die Aussagen selbst bestreitet Olaf Scholz nicht. Allerdings weist er den Vorwurf zurück, eine fremdenfeindliche Intention verfolgt zu haben. Er schätze Joe Chialo als liberale Stimme bei den Konservativen, war zur Schadensbegrenzung von ihm zu hören. Das von ihm benutzte Vokabular stehe nicht im Verdacht der Anrüchigkeit, hieß es demnach. Falsche Deutungen und Interpretationen der Presse seien schuld, beklagte der frühere Finanzminister.
Doch kann man diese Rechtfertigung tatsächlich glauben? Oder ist sie nicht vielmehr eine Ausrede eines nicht erst seit gestern völlig überforderten SPD-Regierungschefs, dem immer öfter die Sicherungen durchbrennen? Mittlerweile scheint ein Kandidat ungeeigneter als der andere. Man muss sich wirklich fragen, ob in einer einst angesehenen Republik tatsächlich keine Charaktere mehr zur Verfügung stehen, für die Anstand, Bescheidenheit und Rückgrat mehr als nur tugendhafte Pendants einer Hautcreme sind. Natürlich kann mit einer Privatperson das Temperament durchgehen. Für ein Spitzenamt eignen sie sich in diesem Fall allerdings nicht, sollten sie im hoffentlich nüchternen Zustand offenkundig nicht in der Lage sein, einen Funken an Contenance zu bewahren. Solch dilettantische und amateurhafte Verhaltensweisen sind Schwarz-Rot-Gold unwürdig. Wer sich nicht im Griff hat, möge an der Persönlichkeit arbeiten, aber hat in der Berliner Waschmaschine keinen Platz. Es ist bezeichnend für den Zustand unserer gesamten Gesellschaft, wenn ihre Repräsentanten vollkommen den Verstand verlieren – und die weltanschauliche Rivalität auf das Niveau stupider Beleidigung herabsenken. Schließlich haben es auch viele Bürger verlernt, mit Frust und Resignation adäquat umzugehen.
Allerdings sind die Kollateralschäden von Pöbelei und Hetze eines Laien geringer als bei einem ehemaligen Hamburger Bürgermeister, der mittlerweile zwischen Präsenilität und Aggressivität hin und her schwankt. Wir haben wahrlich etwas Besseres verdient, sind doch viele von uns unschuldig an der jetzigen Situation, weil sie schon seit längerem erkannt haben, dass eingeschliffene Berufspolitiker keine Zukunftslösung sein können. Und auch wenn selbst in der AfD nicht mehr alle vor Arroganz, Überheblichkeit und Blasiertheit gefeit sind, stellen die Blauen im Augenblick noch die einzige Alternative dar, der es an einer konsistenten Abnutzung durch die Macht fehlt. Auch nach rund einer Dekade des Bestehens gibt man sich glaubwürdig und authentisch. Und lässt aktuell weder mit einem Skandal von Plagiat, Xenophobie oder Medienmanipulation aufhorchen, noch scheint das Stresslevel so sehr überschritten, dass man sich für staatsmännische Verantwortung obsolet erklären würde. Alice Weidel profitiert von den Fehlern der Konkurrenten. Aber sie ist es auch, die mit vergleichsweise wenig Rampenlichterfahrung unumwunden die integerste Figur abgibt – und somit beweist, dass Solidität am ehesten unvorbelastet gelingt.