Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Debatte um Brandmauer: Söder nennt AfD „Systemfeind“ – Weidel geht Merz scharf an“ (aus: „ntv“ vom 20.10.2025)
Eigentlich sollte man gerade in einem geschichtlich arg gepeinigten Deutschland wissen, was eine Trennlinie quer durch die Nation an Folgeschäden anrichtet. Als sich die DDR abspaltete, um eine Diktatur zu errichten, riss sie eine ganze Gesellschaft in ihr sozialistisches Unglück und das planwirtschaftliche Verderben. Aber sie hinterließ vor allem Narben, die selbst nach der Wiedervereinigung nur langsam heilen. Für manchen Beobachter sind wir nie wieder zusammengewachsen. Und tatsächlich könnten die Umfragewerte auch heute noch ein Hinweis dafür sein, in welch unterschiedliche Richtungen Ost und Westen gedriftet sind, um sich aber gerade in der gegenwärtigen Not schwerwiegender Herausforderungen und existenzieller Probleme für uns alle anzunähern. Der Wille vieler Menschen scheint groß, sich nicht neuerlich separieren zu lassen. Bürger zwischen Stuttgart, Köln, München, Frankfurt und Hamburg blicken fast ein wenig neidisch darauf, wie unbeeindruckt man sich „drüben“ mit Blick auf die AfD gibt. Ohne Zweifel wird man attestieren können, dass eine Bevölkerung resilienter auf Brandmarkung und Stigmatisierung reagiert, die schon einmal einem System ausgesetzt war, in welchem man die Opposition drastisch unterdrückte.
Mauern sind keine Abgrenzung, sondern ein Schutz vor Konfrontation mit der Wirklichkeit…
So etwas will man sich nicht noch einmal bieten lassen. Das Selbstbewusstsein ist immens, auf all den Anwurf rechtsextremistischer Tendenzen tugendhafter Sittenwächter aus Berlin ziemlich gelassen zu antworten. Die Zustimmung für die Spitzenkandidaten in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern machen deutlich, dass eine Partei keinesfalls isoliert dasteht, der der Verfassungsschutz ein Etikett angehängt hat. Stattdessen ist die Solidarisierung mit jenen riesig, die kaum etwas dafür tun müssen, um als Opfer „unserer Demokratie“ zu gelten. Da erweist sich auch der demonstrative Aufmarsch von mobilisierten NGOs nach den Äußerungen von Friedrich Merz über das Stadtbild vor dem Brandenburger Tor als einigermaßen überschaubar und skurril, verdienen all die Aufgeschreckten und Empörten doch eher Mitgefühl statt Respekt für ihren Einsatz, der völlig an der Wirklichkeit und Wahrnehmung einer Mehrheit vorbeigeht, die sehnsüchtig darauf wartet, dass tatsächliche Zustände angesprochen, thematisiert und verändert werden. Der Turmbau zu Babel ist schon einmal gescheitert. Und so wird auch die Selbstüberhöhung der „Guten“, die die Brandmauer ins Unermessliche ziehen, in einer bitteren Enttäuschung über deren erneuten Fall enden.
Der Osten hat sich politisch längst emanzipiert – wird es ihm der Westen gleichtun?
Die Befreiung von einem Korsett, das einem Miteinander aufzwingen will, was wir zu denken und zu sagen haben, welche Meinung wir äußern und zu welcher Wahlentscheidung wir uns bekennen dürfen, wird bereits mit den kommenden Urnengängen beginnen. Schließlich ist das Fass bis zum Bersten voll, die Stimmung verschiebt sich sukzessive, aber eben weniger lautstark, als es „die politische Schönheit“ mit ihrem plakativen Krakeelen vorlebt. Der alleinige Umstand, dass der Patriotismus weniger wortgewaltig und gleichschrittig daherkommt wie ein teils finanzierter Mob an Massen, die sich oftmals ihrer Instrumentalisierung durch ein gigantisches Geflecht an Aktivisten gar nicht bewusst sind, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, dass „links“ noch immer der dominierende Zeitgeist wäre. Im Gegensatz arbeitet auch der Bundeskanzler auf einem völligen Irrweg als Helfershelfer für Alice Weiler und Tino Chrupalla an seiner Doktrin des Verdrängens, des Leugnens und des Wegweisens von Verantwortung, Scheitern und Gefangenschaft. SPD und Teile der eigenen Basis haben ihn im Griff, mit dem klaren Ziel vor Augen, sich nicht mit den Missständen auseinandersetzen zu wollen, sondern den Finger in die Wunde im Zweifel zu verbieten.