Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Katja Hoyer über Erfolge von Parteilosen: ‚Problem liegt bei Parteien, nicht bei Wählern'“ (aus: „Berliner Zeitung“ vom 19.10.2025)
Braucht es noch ein festes Korsett namens CDU, SPD, FDP, Grüne oder Linke – und wenn ja, wie sollen die ideologischen Wettbewerber in unserem Land wieder an Ansehen gewinnen, torkeln sie momentan in der Beliebtheit auf einer Stufe mit dem ÖRR? Vielerorts in dieser Republik machen sich zunehmend unabhängige Einzelkämpfer auf dem weltanschaulichen Tableau einen Namen, weil sie ohne eine institutionelle Verankerung gewinnen wollen. Sie fokussieren sich dabei auf ihre persönliche Überzeugungskraft und charakterliche Glaubwürdigkeit. Denn „der Politik ist eine bestimmte Form der Lüge fast zwangsläufig zugeordnet: das Ausgeben des für eine Partei Nützlichen als das Gerechte“, hatte schon Carl Friedrich von Weizsäcker formuliert, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass Rückgrat in einem geschlossenen Konstrukt fast unmöglich ist, welches nicht nur hierarchisch angeordnet scheint, sondern zu einer gemeinsamen Linie verdammt wird. Schließlich vermag sich das repräsentative System keine Querköpfe leisten zu können, sind Mehrheiten zu erringen, die wohl nur mit einer gewissen Räson zu Konformität Wirklichkeit werden.
Hat uns die Hörigkeit der Parteienhierarchie erst in die momentane Misere gebracht?
Dabei käme es vielleicht auf einen Versuch an, eine Herrschaftsform unter Beweis stellen zu lassen, in der Individualisten zu Kompromissen gezwungen sind, um in der unmittelbaren Konkurrenz das Bestmögliche für das Volk herauszuholen. Es sind insbesondere die Anwürfe, sich in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen, um aus diesem utopischen Wolkenkuckucksheim an der Realität vorbei zu regieren, die das etablierte Kartell so sehr in Verruf gebracht haben. Es geht den Berufskarrieristen allein um Einfluss statt Authentizität, weil man sich auf die vermeintliche Stabilität von Koalitionen verlassen kann, statt im ständig neuen Austarieren damit beschäftigt zu sein, argumentativ überzeugen zu müssen. Umso weniger erstaunlich ist es, dass sich im Augenblick viele ehemalige Amts- und Mandatsträger bei den Liberalen lossagen, um im neuen Projekt „Team Freiheit“ Heimat zu finden, wollen Frau Petry und Thomas Kemmerich doch „Anti-Partei“ sein, der Meinung des Einzelnen wieder Geltung schenken. Schlägt man mit diesem Kurs gegebenenfalls in eine Kerbe, füllt tatsächlich jene Lücke, die verkrustete Strukturen in ihrem überschrittenen Zenit auftun?
Der Anspruch, es anders machen zu wollen, war schon oft da – aber…
Zumindest sind die Chancen für Wertschätzung durch den Bürger ziemlich hoch, wenn der Entfaltung einer unabhängigen, souveränen und autonomen Programmatik Raum gegeben wird, um sie lediglich durch allgemein gehaltene Leitlinien zu beschränken. Die einstige AfD-Vertreterin im Bundestag und der frühere Kurzzeitministerpräsident von Thüringen betonen daher auch, dass man ausschließlich externe Fachleute auf die eigenen Listen setze – beispielsweise in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz -, welche nicht durch eine Mitgliedschaft an den Verein gebunden sind. Denn Funktionäre missbrauchten „Regulierungen und Gesetze für einen stetig wachsenden Staatsapparat, der ihre Existenz sichere“, aber gerade nicht „die notwendigen Reformen denken, geschweige denn durchsetzen“ kann, wie die jüngst hinzugestoßene Joana Cotar zu verstehen gab. Und Marcus Pretzell ergänzt, dass die bisherigen Mechanismen „Machterhalt priorisieren und Ineffizienz fördern“, statt frischen Wind in den Filz zu bringen. Doch wie aussichtsreich ist eine Passion, die ihre Grenzen erfährt, wo das zementierte Berlin den Reiz von Anpassung und Similarität aussendet?
Unabhängigkeit braucht Durchhaltevermögen, ein Entsagen langen Atem!
Werden der Befreiungsschlag und das Lossagen von Tradiertem gelingen, um sich auch nachhaltig verankern zu können? Schließlich gab es schon viele ähnliche Versuche. Auch die Alternative für Deutschland wollte es anders machen. Und vor noch nicht allzu langer Zeit trat das BSW hervor, um lagerübergreifend und ohne Scheuklappen die bisherigen Schablonen zu überwinden. Auch sie beide kamen schnell in einer Realität an, der man sich nur dann wird widersetzen können, stellt man Ideal über Prestige. Nicht der Vorteil sollte leiten, sondern der Archetyp eines Politikers, dem seine Werte und Prinzipien mehr bedeuten als der Sieg am Wahlabend. Entsprechend altruistische Menschen wird man zwar eher selten finden, doch sie könnten zu Juwelen in einer Epoche werden, deren Entfremdung das gesellschaftliche Miteinander bis zum Bersten spaltet. Die Versöhnung der Basis mit dem hauptstädtischen Parkett kann nur Früchte tragen, gibt man Selbstlosigkeit Gelegenheit für ein Durchbrechen elitärer Muster. Es darf nicht um Eigenverwirklichung gehen, sondern es braucht ein Bewusstsein für die Tragweite der Herausforderungen, mit denen wir in die Zukunft gehen.







