Kommentar von Dennis Riehle zum Beitrag „BSW erreicht die Fünf-Prozent-Marke – Mehrheit mit Merz zufrieden“ (aus: „stern“ vom 29.06.2025)
Während Friedrich Merz in der Weltgeschichte unterwegs ist, debattiert die hiesige Öffentlichkeit nicht etwa über seine persönliche Kampfbereitschaft an der Front. Stattdessen spielt sich in den Umfragen an entscheidender Stelle ein neues Wettrennen ab, welches eigentlich als entschieden galt. Wer ist die tatsächliche Friedenspartei, hadert man bei der AfD aktuell ganz erheblich mit dem Gedanken des Pazifismus. Neueste Erhebungen machen klar, dass das Thema Aufrüstung bei den Blauen keinesfalls zu den Akten gelegt wurde. Stattdessen taucht mit Tim Schramm plötzlich ein Wuppertaler Kommunalpolitiker auf, der sich in Flecktarn-Montur offen dafür zeigt, in der Ukraine für einen merkwürdigen Patriotismus zu fechten.
Und tatsächlich will bis zu einer Hälfte der Wähler und Unterstützer nicht kategorisch ausschließen, sich beispielsweise auch gegenüber Moskau mit weiteren Milliarden aus dem Sondervermögen als verteidigungsfähig aufzustellen, glaubt man offenbar Erzählungen des Kanzlers, Putin könnte 2029 mit seinen Truppen vor den Toren Berlins stehen. Auch im Konflikt zwischen Israel und dem Iran machten Abgeordnete und Funktionäre kurzerhand keinen Hehl mehr daraus, dass ein Angriff selbst dann angerechtfertigt sei, könne man sich nicht abschließend im Klaren darüber sein, ob Teheran nicht vielleicht doch an der Atombombe gearbeitet habe. Die Einmischung in Angelegenheiten fremder Staaten scheint neues Spaltungspotenzial zu besitzen.
Profitiert das BSW von der Zerstrittenheit der AfD in Friedensfragen?
Denn angesichts dieses Diskurses freut sich nunmehr eine Dritte. Sahra Wagenknecht kehrt mit ihrem Bündnis auf das Tableau der ernstzunehmenden Konkurrenten zurück, überspringt sie erstmals wieder die Fünf-Prozent-Hürde. Und das aus einem nachvollziehbaren Grund. Ihre Mannschaft stellt aktuell die einzige Kraft dar, welche sich konsequent und fast ohne Ausnahme dafür einsetzt, Diplomatie und Frieden stets Vorrang zu geben. Man könnte ein solches Ansinnen als naiv, utopisch und weltfremd bezeichnen. Doch gerade mit Blick auf die wegweisenden Abstimmungen im Osten nächstes Jahr, könnten Alice Weidel und Tino Chrupalla mit ihren Spitzenkandidaten vor Ort ziemlich überraschend argen Schiffbruch erleiden.
Immerhin zeigt man sich gerade in den Verbänden von Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern wenig begeistert, dass der Gedanke von Militarisierung in den eigenen Reihen wieder an Fahrt gewinnt. Zwar ist es eine legitime Entgegnung, dass im polarisierten Gefüge des Globalismus Wehrhaftigkeit unabdingbar sei, möchte man sich nicht realitätsfern in den Sessel des Vertrauens zurücklehnen, der Kreml mache im Zweifel vor NATO-Territorium halt. In der argumentativen Auseinandersetzung geht es um eine Grundsatzfrage. Will man sich anstecken lassen von der transatlantischen Philosophie des Expandierens und Provozierens – oder soll die Bundesrepublik den Weg des neutralen Puffers einschlagen?
Lässt sich die AfD zu sehr von vermeintlich westlichen Interessen leiten?
Angesichts der Verstrickung in die verschiedenen Konflikte der Vergangenheit – exemplarisch seien der Irak, Afghanistan oder Libyen genannt -, tendieren nicht wenige Menschen zu der Überzeugung, dass unsere Interessen nach Sicherheit und Freiheit weder am Hindukusch, noch im Donbass oder am Persischen Golf entschieden werden. Allzu oft ließen wir uns mitreißen von Erzählungen, die sich im Nachhinein als bloße Lügengeschichte in Luft auflösten. Man denke nur an die amerikanische Behauptung, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Denn auch für den immerwährenden Leierkasten, Russland habe es auf eine große Konfrontation abgesehen, gibt es bislang keine handfesten Belege oder tragfähige Nachweise.
Schon allein das muss stutzig machen, hören wir doch gerade in den letzten Dekaden schlichte Narrative ohne allzu viel Substanz und Fundament. Dass wir mit unserer energetischen Transformation etwas am Klimawandel ändern, haben bisher nicht einmal Wetterfrösche untermauern können. Wie sehr uns die Impfung während Corona geholfen hat, die Pandemie zu beenden, ist ebenso strittig. Dass die Massenmigration eine Bereicherung sei, weil Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive unsere Renten sichern, gehört ebenfalls in die Kategorie Märchen. Und so täten Vertreter der Alternative für Deutschland gut daran, nicht allzu leichtfertig für bare Münze zu nehmen, wir seien unmittelbar von einer modernen Sowjetarmee bedroht.