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Dass es auch in der evangelischen Kirche Missbrauch gab, überrascht nur die naivsten Schäfchen!

Die Ergebnisse der Untersuchungen zu Versäumnissen der evangelischen Kirche bezüglich der Aufarbeitung und des Ernstnehmens von Missbrauchsfällen, zu einem fortwährenden Schweigen und Vertuschen, überraschen mich nicht wirklich. Sowohl der Katholizismus wie auch der Protestantismus sind von einer autoritären und hierarchischen Struktur gezeichnet, die vor allem durch einen inneren moralischen Verhaltenskodex über Jahrzehnte eine Loyalität unter Mitarbeitern, Klerikern und Bischöfen aufrechthielt, welche das Nachaußendringen der Verbrechen sexueller Gewalt nahezu unmöglich machte. Als Ausdruck von unerträglicher Machtausübung und Kompensation von eigenen Minderwertigkeitskomplexen hat sich der in perfider Weise auf biblische Zitatfetzen beziehende Hirte bei seinen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche in einer nicht verzeihlichen Selbstherrlichkeit gewähnt, weil er sich in seiner Position göttlich auserwählt und legitimiert sah, zur Disziplinierung und Zucht die Integrität der unbeholfenen Kleinsten brechen zu dürfen.

All das hatte mit Glaube nichts zu tun. Es war der menschliche Abgrund eines unendlichen Selbstwertverlustes von Priestern und Diakonen, die Amt und Glaube als Vorwand benutzten, um die strengen Regeln von Zölibat einerseits, den in Teilen der evangelikalen Konfession nicht minder ausgeprägten normativen Drang zur Enthaltsamkeit, Keuschheit und Unbeflecktheit auf eine abscheuliche Art doppelzüngig und sich selbst oder vor dem Schöpfer in die Tasche lügend zu umgehen. Letztlich wurde von der Obrigkeit eine Lebensweise vorgegeben, die unnatürlich ist. Denn selbst die Heilige Schrift sieht an keiner Stelle ausdrücklich das vor, was das Bodenpersonal aus den Worten des himmlischen Vaters gemacht hat. Es ist weder eine Entschuldigung, noch eine Rechtfertigung, aber sicherlich eine Erklärung für die Motivation und die Beweggründe der Täter, die sich selbst in einem System gefangen sahen, das sie aber nicht selten selbst und bewusst gewählt haben.

In einem Emotionen unterdrückenden Rahmengerüst vertrauten sie darauf, mit eigenen Defiziten, Fehlern und Verwundungen nicht konfrontiert zu werden. Diese auferlegte, widersinnige Beherrschtheit musste zwangsläufig ein Ventil finden. So war es nicht verwunderlich, letztlich aber vermeidbar, dass irgendwann der Druck im Kessel bis zur Explosion ansteigt – und die Opfer dieser niederträchtigsten Form der Entwürdigung von einem Menschen für ihr komplettes Dasein dafür büßen lässt, dass sie in einem kirchlichen Heim, in der Obhut von Betreuern, unter dem Kreuz auf Schutz, Annahme und Halt vertraut hatten. Sie mussten die unfassbare Niedertracht und das offenbar grenzlose Insuffizienzgefühl von Kirchenmitarbeitern ausbaden – und wurden die Zielscheibe von unverarbeiteten Konflikten einer Generation an vor sich selbst fliehenden Geistlichen und Laien, die es nie vermocht haben, eigene Erziehungstraumata aufzuarbeiten. All das darf nicht über die Verwerflichkeit des Handelns hinwegtäuschen, das bis heute den Ruf der Kirche zu Recht beschattet.

Ich selbst habe glücklicherweise nie derartige Erfahrungen machen müssen. Aber ich habe als einfacher Gläubiger ebenfalls erahnen dürfen, was Dogmatik, Lehre und Totalitarismus anrichten können. Weil ich als homosexueller und unter Depression leidender Anwärter auf ein Theologie-Studium Funktionären als ungeeignet erschien, psychisch gesunder Seelsorger zu werden, ließ ich früh von meiner Leidenschaft ab, Pfarrer werden zu wollen. Und weil ich mit meinem liberalen Verständnis der parabelartigen, metaphorischen Interpretation und Exegese christlicher Texte andererseits wiederum nicht fromm genug erschien, trug ich aus Sicht der Geistlichkeit nur noch „Eulen nach Athen“. Klar ausgedrückt: Ich war innerhalb der Kirche zu einer Persona non grata degradiert worden. Und so war es meine Flucht voraus, weg aus der Institution, die ich bis heute nicht bereut habe. Meine Gottesbeziehung hat zeitweise arg gelitten, ist nach einer langen Sinnsuche aber wieder in einer freudigen, freien und fröhlichen Überzeugung an theistische, deistische und pantheistische Zusammenhänge dieser Welt in mich zurückgekehrt. Und so wünsche ich den Gebrandmarkten durch den sexuellen Missbrauch ein wie auch immer aussehendes Heilen von Wunden – ohne aber jemals die Narben einer subtilen Perversion in Reihen der Kirche zu vergessen.

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