Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Umfrage bestätigt AfD-Trend – Wirtschafts-Schock für Merz“ (aus: „Merkur“ vom 31.08.2025)
„In der Not frisst der Teufel Fliegen“ – Nein, ganz so dramatisch, wie es dieses alte Sprichwort besagt, stellt sich mein Verhältnis zur AfD nicht dar. Einst dem linken Lager entstammend, sympathisiere ich heute mit einer Partei, die in den Umfragen derzeit mit der Union um den ersten Platz ringt. Doch wie viele Wähler tatsächlich in vollster Überzeugung ihr Kreuz bei der Alternative für Deutschland setzen, lässt sich am Ende nur schwer sagen. Es dürfte zu einer gesunden Beziehung gehören, den Partner stets auch kritisch zu beleuchten. In einer Freundschaft sollte man offen zueinander sein, weshalb ich mich auch nicht schäme oder scheue, vielleicht gar als Nestbeschmutzer tituliert zu werden, wage ich mich mit gewissem Unverständnis vor. Schließlich bin ich als Journalist dazu angehalten, selbst jenen mit prinzipieller Distanz und heilsamer Skepsis zu begegnen, die ich als Privatmensch auf dem Stimmzettel vorziehe. Weil ich nach einer langen Beschäftigung mit internen Konflikten, verschiedenen Personalia, der inhaltlichen Programmatik, der Außendarstellung und der Kommunikation mit Anhängern wie Feinden durchaus einen guten Einblick gewonnen habe, fällt mein Urteil keinesfalls so unbefleckt aus, wie sich das manch Unterstützer vielleicht wünschen würde. Doch was nutzt der beste Kumpel, reflektiert und spiegelt er aus falscher Rücksichtnahme seine Wahrnehmungen nicht?
Weil die AfD ein Hort der unterschiedlichsten Lager ist, braucht es mehr Moderation!
Immerhin erweist sich diese echte Opposition im Parlament als ein bisweilen heterogen, widersprüchlich und polarisiert anmutendes Sammelbecken aus Charakteren unterschiedlichster Motivation, die aus Enttäuschung und Wut über das Etablierte gewechselt haben, in Orientierungslosigkeit auf dem Markt der Möglichkeiten zwischen CDU und Grünen nicht fündig wurden. Oftmals mit einer Vorgeschichte im konservativen oder bürgerlichen Lager, war es häufig die illegalen Einwanderung, welche als drängender Missstand zu Alice Weidel und Tino Chrupalla trug. Und deshalb ist es nicht wirklich überraschend, dass die Spitze auch ganz explizit auf diesen Zug des Bedarfs aufspringt, steht doch die Forderung nach Remigration zentral im Mittelpunkt des sachlichen Werbens um Zuspruch. Und es wird kaum einen Zweifel daran geben, dass die ungezügelten Fluchtbewegungen nach Mitteleuropa wesentliche Ursache für zahlreiche Probleme, Schiefstände und Herausforderungen unserer Nation sind. Wer sie löst, räumt damit eine ganze Reihe von Sorgen und Nöten ab, die die Durchschnittsbevölkerung momentan plagen. Gleichzeitig ist eine monothematische Ausrichtung nicht selten eng gekoppelt an eine Protestbewegung, die auch schnell wieder erlahmen kann. Man profitiert derzeit vom Unvermögen der Regierung, von den angerichteten Kollateralschäden des Tabubruchs der Angela Merkel aus 2015.
Die Forderung nach Remigration wird dauerhaft nicht genügen, um zu überzeugen!
Auch in der Entstehung profitierte die einst von Lucke oder Meuthen geführte Kraft von Krisen, damals vor allem des Euros. Nunmehr ist sie eng fixiert, hinterlässt sie den Anschein, man müsse lediglich Flugzeuge für die Abschiebung von Hunderttausenden bereitstellen, um die Republik wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Doch dieser kurzfristige Gedankengang endet bereits in der fehlenden Praxistauglichkeit, sprechen neben juristischen Einwänden auch organisatorische wie strategische Unwägbarkeiten gegen eine allzu rasche Realisierung des Wunsches, dass sich Rechtsstaat und Identität wieder durchsetzen, wenn der Fortbestand der autochthonen Mehrheit nicht länger bedroht ist. Man sollte niemandem Sand in die Augen streuen, der glaubt, mit einer Alleinherrschaft der Blauen ließe sich die Wurzel allen Übels über Nacht beseitigen. Als einem pragmatischen und differenzierenden Vertreter der vierten Gewalt mangelt es mir an einer gewissen Euphorie, habe ich mich intensiv mit den Standpunkten und Meinungen jenes Wettbewerbers befasst, der momentan durch Verfassungsschutz, Omas gegen rechts, der „Unsere Demokratie“-Bewegung samt Kirchen oder Gewerkschaften, die Mächtigen in Berlin, Haltungspresse und Demagogen schikaniert, gebrandmarkt und verleumdet wird. Doch ich suche bis heute einigermaßen vergeblich nach einem belastbarem Fundament, finde wenig klare Antworten auf gegenwärtige Miseren.
Parteiveranstaltungen sind keine Gottesdienste, Politiker keine Propheten!
Und dieser Eindruck korreliert mit mannigfaltiger Zerstrittenheit von Funktionären und Protagonisten, die sich die Butter vom Brot nehmen, weil es – vielleicht öfter, als ohnehin schon gewohnt – um Macht und Einfluss geht, nicht aber um Zusammenhalt und Einigkeit bei außenpolitischen Belangen, in den Vorschlägen zur langfristigen Sicherung der Sozialsysteme, hinsichtlich der Staatsräson, dem Ausmaß an Heimatliebe, der Definition des Volkes und einer konzeptionellen Erwiderung zu Transformation und Wirtschaftsabschwung. Plumpe und profane Memes in den neuen Medien, mit KI erstellte Texte und Posts sind kein hinreichendes Gegenkonzept zu Heidi Reichinnek. Die beiden Co-Chefs gönnen sich üppige Vergütungen. Gleichsam scheint es so, als wolle man nicht in Professionalisierung des öffentlichen Auftritts investieren. Ob Videos von frenetischem Beifall für Ministerpräsidentenkandidaten genügen, die bisweilen an eine freikirchliche Versammlung von huldigenden Götzendienern oder das Boygroup-Konzertrevival einer modernen Polit-Popkultur erinnern, mag man ebenso diskutieren wie den Belang, dass der unmanierliche Umgang zwischen den Strömungen und Flügeln sogar den externen Beobachtern nicht verborgen bleibt. Weniger Narzissmus und Ichbewusstsein würde einem Projekt nicht schaden, das ein Mehr an Tiefgang, Profil und Substanz durchaus vertragen könnte.