Quelle: Clipdealer.de, B507439710, erworbene Standardlizenz.

Hat sich die unabhängige Publizistik längst überdauert? Zumindest steht sie in stürmischer Konkurrenz zum Jedermanns-Journalismus…

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Die sozialen Medien sind schuld, dass sich immer mehr Ich-Erzähler breitmachen“ (aus: „Tages-Anzeiger“ vom 02.12.2025)

Braucht es angesichts sozialer Medien überhaupt noch unabhängigen Journalismus? Nicht zum ersten Mal stelle ich mir diese Frage, wenn ich die Entwicklung auf Plattformen wie X oder „Facebook“ betrachte, um einerseits zu attestieren, dass die Omnipräsenz der großen Medienhäuser unübersehbar ist, aber andererseits zu verfolgen, wie jeder zweite Nutzer für sich selbst beansprucht, nach ein oder zwei kommentierenden Sätzen über die Tagespolitik publizistisch tätig gewesen zu sein. Aufgrund gravierender Fehler in der Ausführung ihres Handwerks stehen nicht nur Kollegen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter Beschuss. Sondern mittlerweile sind all jene Sündenböcke, die nicht nur aus Teilen der AfD in einen Topf mit Verrätern unserer berufsethischen Verantwortung geworfen werden. Bin ich tatsächlich schuld daran, dass Dunja Hayali, Georg Restle, Elmar Theveßen oder Gordon Repinski wohl nur selten mit dem Pressekodex in Berührung kamen? Oder muss ich vielleicht einfach nur das ausbaden, was jene demagogischen Häretiker einer Lehre von Anstand, Objektivität und Unvoreingenommenheit an Schaden mit Blick auf den Ruf der vierten Gewalt anrichten?

Die neuen Medien könnten den Journalismus der Tiefe und Hintergründe ablösen…

Es ist nicht nur die algorithmische Einflussnahme auf den Wettbewerb der verschiedenen Meinungen, welche mittlerweile dazu verhilft, Populismus und Polemik zu priorisieren. Es genügt vielen Menschen offenbar, mit schlichten Schlagzeilen versorgt zu werden. Die Ansprüche sind gesunken, Hintergründe zu erfahren und Zusammenhänge zu verstehen. Da informiert man sich bei jedem Erstbesten, der die Kunst der Rhetorik nicht gelernt hat, aber durch plakative Wortgewalt die Massen begeistern kann. Hier schwingt sich der Influencer ohne eine Qualifikation im Hintergrund zum Schreiberling auf, Öffentlichkeitsarbeit wird heute nahezu von sämtlichen Protagonisten betrieben, die sich auf den neuen Plattformen tummeln. Sollte der Einzelkämpfer also besser die Hände in den Schoß legen, vielleicht „NiUS“, „Apollo News“, „Freilich Magazin“ oder „Deutschland Kurier“ den Vortritt lassen? Ihre Reichweite scheint enorm, fokussieren sie sich vor allem auf Investigativismus, der insbesondere deshalb zieht, weil er Narrative über das System bestärken soll. Der Konsum dessen explodiert, was die reflexartige Einigkeit gegenüber dem ideologischen Feind beschwört.

Lohnt es sich überhaupt noch, in Zeiten von Polarisierung für publizistische Ideale zu kämpfen?

Alles hat seine Zeit, wohl auch die ehrliche und nicht vom Mainstream vorgekaute Manufaktur an Kommentar, Glosse oder Replik. Überall dort, wo es gelingt, mit Extremen zu polarisieren, haben Sachlichkeit und Ausgewogenheit schwere Karten. Man bedient sich im Zweifel parteilichen Sprachrohren, um in einer festgefahrenen Überzeugung noch einmal gestützt zu werden. Das Reflektieren erweist sich als anstrengend – und deshalb als verpönt. Die radikale Veränderung der Erwartungshaltung muss sich letztlich in einer Neuorientierung jener niederschlagen, die bisher darauf setzten, durch Autonomie und Souveränität weder der Gunst eines Chefredakteurs noch einer bestimmten politischen Kraft unterworfen zu sein. Wem es aktuell ein Dorn im Auge ist, sich dem sogenannten „Framing“ – also der Einpassung von Fakten und Wahrheiten in einen weltanschaulich vorgefertigten Deutungsrahmen – zu unterwerfen, der wird ziemlich erfolglos versuchen, für sein Tun Aufmerksamkeit zu generieren. Ob ich meinen Job noch einmal auswählen würde, stünde ich vor der Entscheidung von vor vielen Jahren, kann ich bedauerlicherweise nicht mehr eindeutig beantworten.