Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Social Media: ‚Es ist eines der größten Probleme, dass kritisches Denken verlernt wird'“ (aus: WELT vom 20.12.2025)
Ich hatte mich lange Zeit gewehrt, überhaupt einen Account in den sozialen Medien zu eröffnen. Doch am 6. Januar 2026 jährt sich meine Anmeldung auf der Plattform X zum dritten Mal. Solche Jubiläen sind immer auch ein Anlass, nachdenklich zu werden. Einerseits über meine Rolle als Journalist im Prinzipiellen, andererseits meine Funktion in den neuen Plattformen im Konkreten. Es hat sich viel getan, nicht unbedingt zum Guten. In meinem Blog sind mehr als 1.400 Artikel entstanden, auch auf dem ehemaligen Twitter habe ich Unmengen an Texten produziert. Die Reichweite sinkt spätestens seit 18 Monaten dramatisch, meine Sichtbarkeit scheint gedrosselter denn je.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Unabhängige Publizisten haben es schwer, sich gegenüber einer Omnipräsenz der großen Medienhäuser und die eigenen Kanäle der Parteien zu behaupten. Mit tiefgehender Kommentierung und nuancierter Differenziertheit wird man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen. Das Angebot regelt die Nachfrage, Videos und Memes stechen Text und Analyse aus. Polemische Schlagzeilen und plumpe Parolen gehen viral, emotionalisierten Inhalte wird der Vorzug gegeben. Elon Musk hat wohl auf Druck der EU die Algorithmen beeinflusst, aber auch dem Wettbewerb um Qualität den Kampf angesagt.
Ich habe den Eindruck gewonnen, neben den großen Medien überflüssig geworden zu sein…
Nach ein oder zwei Stunden für mühevoll in Hingabe und Leidenschaft formulierte Beiträge null Likes zu erzielen, das ist ein Schlag ins Kontor. Ich jage nicht dem „Daumen hoch“ hinterher, doch ein Stückchen Selbstwert wohnt auch mir inne. Rund 800 Ausarbeitungen betreffen allein die Alternative für Deutschland, darunter viele Portraits über ihre Politiker. Resonanz gab es nicht einmal in zwei Dutzend der Fälle, auch ansonsten bleiben die Rückmeldungen auf mein Engagement rar. Über zwei Dekaden hinweg habe ich mich ehrenamtlich eingebracht, 20.000 Stunden freiwilligen Dienst geleistet. Und auch in der jüngsten Epoche stand das Ideal im Vordergrund, mein Anspruch, im demokratischen Verständnis allen Wettbewerbern auf dem Tableau chancengleich Raum zu geben für ihre Positionen.
Geblieben ist der Anwurf, Teil der „Lügenpresse“ zu sein, weil ich kritische Zwischentöne wagte, nicht gänzlich auf Linie war. Durch meine Parkinson-Erkrankung fällt mir das Schreiben ohnehin schwer. Meine Finger kann ich kaum noch beugen, die Stimmen lässt häufig zu wünschen übrig. Sowohl das Tippen wie Diktieren verlangt mir große Mühe ab, trotzdem wollte ich für eine bessere Zukunft, für den Erhalt der Heimat eintreten. Nunmehr merke ich, dass ich vorwiegend gegen Windmühlen ankämpfe. Wer fortwährend Steine in den Weg gelegt bekommt, mit angezogener Handbremse unterwegs ist, der fährt auf Verschleiß.
Die digitale Welt fordert Memes statt Kommentare, Kürze statt Würze, Parolen statt Analyse…
Was habe ich beispielsweise an Aufwand betrieben, Charaktere wie Ulrich Siegmund auf ihrem Kurs zum Ministerpräsidenten für Sachsen-Anhalt mit konstruktiver und fairer Stimme zu begleiten. Geblieben ist davon ein ignorantes Schweigen. Ich weiß darum, dass es einen Kreis von Lesern gibt, der mein Wirken begrüßt. In der Abwägung von Aufwand und Ertrag, nicht auf materieller oder monetärer Ebene, bleibt weniger als ein Nullsummenspiel. Längst bin ich als erwerbsunfähig eingestuft, wollte mich aber nie in den Schaukelstuhl zurücklehnen. Jetzt habe ich mich entschieden, den Vorruhestand anzutreten.
Das genannte Datum scheint ein geeigneter Augenblick für die Zäsur. Ich werde mein ohnehin reduziertes Dasein in der Virtualität weiter kürzen, die Profile gänzlich auf Nachrichtenportale umstellen, vorwiegend Teaser und Links zu den Aufmachungen der eigenen Webseite posten. Mein auferlegtes Redaktionsstatut ändert sich dahingehend, mit dem wohlwollenden Zuspruch für einzelne Personen sparsam zu werden. Ihr Undank hat mich geläutert, mir meine Naivität genommen. Ich danke denen, die treu bleiben. Und ich verspreche, für sie da zu sein. Denn der Verantwortung bleibe ich mir bewusst.







