Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Koalitionsgipfel: Was die Merz-Regierung bei Bürgergeld und Rente ändert“ (aus: „stern“ vom 10.10.2025)
Vollmundig und großspurig hat die Große Koalition ihre schwarz-roten Minimalbeschlüsse zum Thema Bürgergeld verkündet. Künftig soll die Sozialleistung „Grundsicherung“ heißen, bei drei Terminversäumnissen eine vollständige Sanktionierung in Betracht kommen. In Gesetze ist noch lange nichts gegossen, alle Regelungen sollen nur für den Extremfall gelten. In welchen Wortlaut die Bestimmungen gekleidet und ihre Verbindlichkeit fixiert werden sollen, ist bislang ebenfalls unklar. Denn jeder politische Beobachter in Berlin weiß, dass an Paragrafen nichts so aus dem Parlament herauskommt, wie es als Initiative hineingegangen ist. Zudem könnte das Bundesverfassungsgericht Einwände erheben. Denn es hat in dieser Angelegenheit bereits entschieden, als es 2019 um selbige Streitpunkte mit Blick auf das SGB II („Hartz IV“) ging. Damals betrachtete Karlsruhe bloße Meldeverstöße als nicht hinreichend, die Existenzsicherung über das Maß von 30 Prozent hinaus zu kürzen. Entscheidend war dabei die Generalität.
Karlsruhe hat dem Parlament einen gangbaren, aber schmalen Grat gewiesen…
Trotzdem wurde dem Gesetzgeber eine Hintertür geöffnet, wonach auch eine komplette Streichung nicht gänzlich unmöglich ist, sollte ein Betroffener nach Anhörung und ohne das Vorbringen stichhaltiger Argumente eine auf dem Tisch liegende, zumutbare Arbeitsgelegenheit verweigern. Immerhin bleibe der Sinn einer staatlichen Überbrückungshilfe, eine temporäre Alimentierung nicht langfristig in ein bedingungsloses Mindesteinkommen zu verwandeln. Deshalb haben Mitwirkungspflicht unvermindert Bestand, zumindest theoretisch. Eigenverantwortung muss gefördert werden. Hierbei gilt allerdings das Prinzip der Einzelfallprüfung, pauschale Mechanismen zu Lasten der Empfänger verstoßen gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot aus dem Grundgesetz. Insofern muss Friedrich Merz auf eine differenzierte Formulierung achten, die nicht den Anschein erweckt, individuelle Schicksale und Bedürfnisse um einer bürokratischen Vereinfachung willen außer Acht zu lassen. Ansonsten ergeben sich neu Fallstricke und Hürden.
Auch die Allgemeinheit hat das Recht, dass für ein Fördern zu fordern…
Natürlich hat die Gesellschaft, der finanzierende Steuerzahler, gleichermaßen ein nachvollziehbares Anrecht darauf, das Fördern mit dem Fordern zu verbinden. Daher ist die Festschreibung von Integrationsmaßnahmen, Beratungsgesprächen und Bewerbungspflichten nicht nur zulässig und geboten, sondern ein Akt des sozialen Friedens. Gleichermaßen sind widersinnige und stupide Weiterbildungsmaßnahmen ohne jeden Zweck und Verstand untauglich, um die Vermittlung zurück in den Beruf voranzutreiben. Bislang fehlt es an einem automatisierten Matching, das Erwerbslose und Unternehmen adäquat, passgenau und schnell zusammenbringt. Chancen durch Künstliche Intelligenz in diesem Bereich scheinen nicht umfassend ausgeschöpft zu werden. Inwieweit daneben Maßnahmen wie eine verstärkte Einkommens- und Vermögensprüfung zu mehr Fairnessempfinden in der Bevölkerung beitragen können, wird sich erst daran erweisen, ob bei einer systematischen Täuschung umgehende Konsequenzen wie die Einstellung jeglicher Geldflüsse gezogen werden.
In der Frage der überproportionalen Arbeitslosigkeit unter Ukrainern geht nichts voran…
Was das Kabinett allerdings noch immer an Reform ausspart, das ist ein frisch geordneter Umgang mit Ukrainern, die eine besonders schlechte Eingliederungsquote zeigen. Immerhin beziehen weiterhin 54 Prozent der Erwerbsfähigen von dort Bürgergeld. Eigentlich ist bereits ein sogenannter Rechtskreiswechsel geplant, wonach rückwirkend alle ab dem 1. April nach Deutschland gekommenen Migranten aus dem Konfliktgebiet gemäß des Asylbewerberleistungsgesetzes behandelt werden sollen, um sich somit nicht mehr von Flüchtlingen anderen Ursprungs zu unterscheiden. Bisher konnte allerdings keine Übereinkunft im Plenum erzielt werden, die Gesetzgebungsphase dauert an. Und sie würde auch nicht den übergroßen Anteil derjenigen betreffen, die zwischen 24. Februar 2022 und 31. März 2025 in die Bundesrepublik einreisten. Man wollte vor der Sommerpause mit den interfraktionellen Absprachen und dem legislativen Prozess fertig sein. Doch mittlerweile ist es die Öffentlichkeit gewohnt, dass sie in den „heißen Herbst“ vertröstet wird.