Kommentar von Dennis Riehle zum Beitrag „Zwischen Ideal und Wirklichkeit: Zur inneren Dialektik der AfD“ (aus: Frank-Christian Hansel – Blog vom 14.10.2025)
Warum setzen in unserer Republik immer mehr Menschen Vertrauen in die Alternative für Deutschland? Zahlreiche Politikwissenschaftler machen sich zu dieser Frage ausführliche Gedanken, warnen ohne tiefergehende Auseinandersetzung allerdings häufig mit Plattitüden – wie jener des Rechtsextremismus und anderen geschichtsrevisionistischen Horrorszenarien – vor einer Partei, deren Programmatik sie häufig nicht einmal studiert haben, um sie rasch zu einer bloßen Protestkraft zu degradieren. Besonders drastisch zeichnet das Bild der Soziologe Wilhelm Heitmeyer: „Die AfD steht jetzt für einen ‚autoritären nationalen Radikalismus‘, nämlich eine Ideologie, die eine hierarchisch geordnete, ethnisch homogene Gesellschaft unter einem starken Staat propagiert“. Viel mehr an Wortgewalt und Etikett geht wohl nicht, sucht man schließlich in den Inhalten und Aussagen ihrer Vertreter einigermaßen vergeblich nach Belegen, die ein solch pauschales, vielleicht sogar verleumderisches Urteil nur bedingt rechtfertigen. Da stochert man im Nebel der Kraftausdrücke und Superlative, weil es wesentlich an Substanz, Indiz und Nachweis fehlt.
Bisher wurde viel über die AfD geredet, aber nur selten aus der AfD heraus…
Aber was sagen eigentlich diejenigen, die sich für diese verschriene Kraft engagieren? Welchen Blick nehmen sie aus dem Inneren auf eine mittlerweile mehr als zehn Jahre alte Bewegung ein, die man häufig als monothematisch – zunächst auf das Thema Euro, später dann auf Corona und die Migration beschränkt – abtat? Selbstkritisch wie reflektierend ist beispielsweise das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Frank-Christian Hansel, in regelmäßigen Erörterungen und Abhandlungen in seinem Blog unterwegs. Auch er ist Studierter, kennt sich aber wohl besser aus als jene, die mit Ressentiments spielen. Der Politologe und Philosoph gehörte Anfang der 1990er-Jahre der SPD an. In der Gründungsphase der AfD hatte er zeitweise das Amt des Bundesgeschäftsführers inne – und kennt damit das Projekt von Anfang an. Später erhielt er dann das Mandat im hauptstädtischen Landesparlament, wird dem liberalen Flügel zugerechnet. Er hält den eigenen Reihen nicht selten einen Spiegel vor, aber verteidigt sie auch mit Bravour. Schließlich scheint er Mechanismen wie Automatismen verinnerlicht zu haben, die für interne Dynamik verantwortlich sind.
Von einer grundlegenden Wende alles Bestehenden darf man träumen – aber auch nicht mehr…
In einem aktuellen Beitrag weist er darauf hin, warum die Alternative für Deutschland eigentlich gegründet wurde. Es sei ein doppelter Impuls gewesen, aus dem „Willen, eine andere Politik zu machen“ – und zugleich „Politik anders zu machen“, welcher wohl auch ihn angetrieben hat, aber durchaus an die Grenzen dessen kam, was in einer Parteiendemokratie überhaupt an Variante und Option möglich ist. Er gibt zu bedenken, dass man sich nicht gänzlich frei machen kann von den eingeschliffenen Strukturen, eine „latente Desillusionierung“ sei demnach „unvermeidlich“. Immerhin geht es am Ende um das Erringen von Mehrheiten, um das Erlangen von Macht. Und dazu gehört die vielleicht bittere Erkenntnis, wonach solche tragfähigen Bündnisse nur dann Beständigkeit haben, sind sie nicht nur von einer fachlichen und ideologischen Kontinuität gefestigt, sondern fußen auch auf zwischenmenschlichen Beziehungen. Der geborene Wiesbadener gesteht im Geiste von Robert Michels ein, „dass jede Organisation, auch die demokratischste, über kurz oder lang ihre eigene Hierarchie, ihre Funktionäre und ihre Binneneliten hervorbringt“.
Ernüchterung sollte nicht abhalten, den eingeschlagenen Pragmatismus weiterzugehen…
Vielleicht wird es den ein oder anderen Sympathisanten enttäuschen, doch Wunder wird man auch von der AfD nicht erwarten können. Sie ist eingebettet in eine „allgemeine Aufstiegslogik“, wie es der Unternehmensberater in seinem Text formuliert, um sich an Normen, Absprachen und Kriterien halten zu können. Es braucht Vertrauen in Fertigkeiten wie „Urteilskraft, Kommunikationsvermögen, Disziplin und Redlichkeit“, um mit einem Team in der alltäglichen Funktionsweise des legislativen Betriebs Fuß fassen zu können. Man sollte sich nicht der Illusion verschreiben, mit den Blauen allzu rasch in Absolutheit zu schwelgen. Noch immer sind Koalitionen im repräsentativen Gefüge der Normalfall, weshalb es selbst bei „innerer Freiheit“ auch nicht gelingen wird, den Kampf zwischen „Idealismus und Wirklichkeit“ zu gewinnen. Dieses pragmatische Attest wird für die Alternative für Deutschland laut Hansel zu einer „Reifeprüfung“, ist man doch angekommen auf dem Boden der Tatsachen, wonach anders Politik zu machen fast aussichtslos erscheint. Eine andere Politik als der Rest zu machen, scheint hingegen weiterhin Anspruch und Tugend.