Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Vom Liberalen zum Rebellen: Thomas Kemmerich setzt auf die ‚Anti-Parteien-Partei'“ (aus: „Berliner Zeitung“ vom 01.10.2025)
Braucht es in Deutschland einen Neuanfang für das offene Denken? Mit dem „Team Freiheit“ tritt ein ganz frischer Akteur auf das politische Tableau, der nach Meinung mancher Beobachter eine Lücke schließen könnte, die die FDP mit ihrem Abgang aus dem Bundestag und dem Rückzug von traditionellen Werten wie jenen der prägenden Charaktere Theodor Heuss, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher oder Guido Westerwelle hinterlassen hat. Das sich auf das Konzept des Libertarismus berufende Bündnis um Thomas Kemmerich und Frauke Petry hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Parteienlandschaft aufmischen zu wollen. Mit einer klaren Abwendung vom einschränkenden Determinismus und einem Bekenntnis zum unbehelligten Willen tritt man an, um eine Gesellschaft nach dem Marktprinzip zu formen, in der der Wettbewerb um die besten Lösungen und Antworten für die Zukunft sowie das autonome Wirtschaften und Entfalten des Einzelnen zu größtmöglichem Wachstum und Wohlstand führen sollen. Prinzipien und Ideale werden in den Mittelpunkt zurückgeholt, die Christian Dürr zugunsten zeitgeistig wie infantil wirkender Videos oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann für Kriegstüchtigkeit haben schleifen lassen.
Javier Milei auch in Deutschland wagen? Das „Team Freiheit“ scheint, klar „Ja“ zu sagen…
Schon bekannte Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie wie Ludwig von Mises formulierten: „Eine repräsentative Demokratie kann nicht bestehen, wenn ein großer Teil der Wähler auf der öffentlichen Gehaltsliste steht. Wenn die Parlamentarier sich nicht mehr als Treuhänder der Steuerzahler ansehen, sondern als Vertreter der Empfänger von Gehältern, Löhnen, Subventionen, Arbeitslosenunterstützung und anderen Wohltaten aus dem Steuertopf, dann ist es um die Demokratie geschehen“. In diesem Grundsatz ist man auch bei den „Neuen“ darauf bedacht, die öffentliche Hand auf das Wesentliche zu beschränken, denn „der Staat ist im Wesentlichen eine Institution zur Erhaltung friedlicher zwischenmenschlicher Beziehungen“ (ebd., 1927). Und der Geist des Unbändigen scheint aktueller denn je, rammt doch der argentinische Präsident Javier Milei einen wesentlichen Eckpfeiler mit den Worten ein: „Liberalismus ist der uneingeschränkte Respekt für den Lebensentwurf anderer, basierend auf dem Prinzip der Nichtaggression und der Verteidigung des Rechts auf Leben, Freiheit und Privateigentum“. Somit sind Leitplanken gesetzt, um sukzessive Inhalte in grundsätzliche Orientierungspunkte zu wandeln.
Die konkrete Programmatik des sich 2026 unter anderem bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg präsentieren wollenden Zusammenschlusses tritt demnach genau in diese genannten Fußstapfen. Ihre Gründerin postete auf der Plattform X eine kurze Zusammenfassung der Stoßrichtung: „Team Freiheit steht dafür, den Staat aus dem Leben der Bürger dahin zurückzudrängen, wo er maximal hingehört. Also zur Erledigung seiner Kernaufgaben. […] Schluss mit den falschen Anreizen, weniger Staat, weniger Abhängigkeit von politischen Entscheidungen, keine Finanzierung von politischen Lobbygruppen (NGOs), mehr Markt, echte Meinungsfreiheit, viel mehr Föderalismus“. Zu einem anderen Themenbereich äußerte sich die Kandidatin für das Stuttgarter Parlament, Sarah Zickler: „Die aktuelle Asyl- und Migrationspolitik wird beendet. […] Die Ablehnung unserer kulturellen und zivilisatorischen Grundlagen führt zur Beendigung des Aufenthaltes“. Während man für Flexibilität und eine Rückweisung des Berufspolitikertums steht, möchte man gegenüber der Bürokratie die zum Symbol gewordene Kettensäge scharf anlegen. Und auch ansonsten sind Solidität wie Laissez-Faire ganz elementare, aber nicht widerstreitende Kennzeichen.
Ideologisch klar zu verorten, doch ohne Anschein eines parteilichen Korsetts…
Und auch die Verortung im Spannungsfeld zwischen CDU, Freien Demokraten und Alternative für Deutschland scheint einigermaßen klar zu sein: „Dieses neue Projekt ist im Kern libertär-individualistisch ausgerichtet – und steht damit im klaren Gegensatz zur identitätspolitisch-kollektivistischen Haltung, die in der AfD dominiert“, so der Unterstützer Severin Tatarczyk im September 2025. In Stichworten heißt das: „Die Staatsquote wird schrittweise unter 25 % gesenkt. Bürger behalten mehr von ihrem Einkommen“, „Überflüssige Behörden bauen wir ab. Den Staat konzentrieren wir auf seine Kernaufgaben, insbesondere die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit. Politische Regulierungen und Apparate führen wir auf das notwendige Minimum zurück“, „Europa lebt von offenen Grenzen, freiem Handel und dem Austausch von Ideen. Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo ihre Konsequenzen entstehen – nah bei den Bürgern“ oder aber auch „Eine Sozialstaatsreform fokussiert sich auf nur noch drei Gruppen von Leistungsempfängern: Kinder, deren Eltern nicht für sie sorgen können, Alte, die nicht für sich sorgen können sowie Kranke und Behinderte, die nicht für sich sorgen können“.
Dass in diesem Kontext allerdings die Pflichten nicht untergehen, besagte schon Friedrich August von Hayek: „Freiheit verlangt, daß die Verantwortung des einzelnen sich nur auf das erstreckt, was er beurteilen kann, daß er in seinen Handlungen nur das in Betracht ziehen muß, was innerhalb des Bereichs seiner Voraussicht liegt und vor allem, daß er nur für seine eigenen Handlungen (und die der seiner Fürsorge anvertrauten Personen) verantwortlich ist – aber nicht für die anderer, die ebenso frei sind“. Niemand wird sich also fürchten müssen, dass er im Zweifelsfall und bei Schicksalen gänzlich alleine gelassen wird. Doch es gibt Ausnahmen hiervon: „Wer nach Deutschland einwandert, finanziert seinen Lebensunterhalt selbst. Die Ablehnung unserer kulturellen und zivilisatorischen Grundlagen führt zur Beendigung des Aufenthaltes“, heißt es im „Wozu“ von „Team Freiheit“. Insofern erstreckt sich die Agenda auf einen breiten Bereich sämtlicher Herausforderungen und Probleme des Jahres 2025, ohne derart präzise zu werden, dass die einzelnen Mitstreiter nicht eigene Akzente setzen könnten. Und das dürfte den Unterschied machen zu festen Korsetten, wie wir sie vom Kartell gewohnt sind.