Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Debatte um AfD-Verbot: ‚Das ist eine abgrundtief antidemokratische Haltung – ein richtiger Zivilisationsbruch'“ (aus: WELT vom 05.09.2025)
Sollte es zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD in Karlsruhe kommen, so dürfte eine zentrale Frage entscheidend bei der Beurteilung sein, inwieweit die Partei auf Grundlage von Artikel 21 Absatz 2 GG für verfassungswidrig erklärt werden kann. Es geht um die Definition des deutschen Volkes, die wiederum in Artikel 116 auf den ersten Blick eindeutig festgelegt scheint. „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“. Auf diesen Halbsatz beziehen sich auch die roten Roben nicht selten, um damit einem Widerspruch aus rechten Kreisen entgegenzuhalten, dass es gerade in einem Zeitalter nicht wirklich hinreichend und abschließend ist, sich allein auf ein Passdokument zu beziehen, will man einen Flüchtling als Teil unserer Gesellschaft auffassen. Denn mittlerweile lässt sich ein Ausweis digital im Internet bestellen, braucht es gerade in der Hauptstadt keine persönliche Vorstellung mehr, um ein Papier in Händen halten zu können, das jeglichen Wert verloren hat. Schließlich ist der Gedanke des Abstammungsprinzips seit dem Jahre 2000 durch das Geburtsortprinzip abgelöst worden.
Ist man Verfassungsfeind, wenn man die sogenannten „Biodeutschen“ eng definiert?
Darf man darauf beharren, ein Kollektiv entlang ethnischer und kultureller Grenzen festzumachen? Über das Volk selbst wird in unserem elementaren Regelwerk an sieben Stellen gesprochen, von Vielfalt und Toleranz lesen wir hingegen nichts. Natürlich kann der klassische Rassismus, welchen wir aus den dunklen Kapiteln der Geschichte kennen, weder mit den demokratischen noch liberalen Werten unserer derzeitigen Ordnung in Einklang zu bringen sein. Doch ist man allein deshalb fremdenfeindlich, weil man auf den Umstand verweist, dass die Schöpfung den unterschiedlichen Zivilisationen auf diesem Globus ihren Platz zugeordnet hat, ohne den Anspruch auf eine vollständige Vermischung? In einem aktuellen Urteil über das Buch „Kulturkampf um das Volk: Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ von Professor Martin Wagener hat der ehemalige Behördenchef Haldenwang eine Niederlage hinnehmen müssen. Weil er einige Passagen daraus nicht mit der Menschenwürde vereinbar sah, wollte er es auf einen Index setzen. Doch damit überschritt er nicht nur Kompetenzen, der Verlag könne für angefallene Druckkosten keinen Ersatz verlangen, so das Landgericht Frankfurt jüngst.
Ein Verstoß gegen Artikel 1 GG sei erst „dann gegeben, wenn eine konkrete Person oder eine Personengruppe zum Objekt degradiert oder als Objekt instrumentalisiert wird. Eine Verletzung ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine Veröffentlichung Geschmacklosigkeiten, einzelne polemische Ausfälle und sprachliche Entgleisungen aufweist, bei denen es der handelnden Person in erster Linie um die Kränkung der angegriffenen Person geht“. Aus entsprechenden Begründungen im Versuch, die NPD von der Bildfläche zu tilgen, wissen wir ebenfalls, dass auch das Bundesverfassungsgericht entsprechend hohe Hürden gelegt hat. Demnach sei eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ notwendig, der man zudem eine „konkrete Erfolgswahrscheinlichkeit“ nachweisen müsse. Die bloße Aversion gegenüber illegalen Einwanderern reicht also keinesfalls, solange „Ausländer unter Missachtung des Gleichheitssatzes [nicht] als unterwertig dargestellt“ und ihnen „das Lebensrecht in der Gemeinschaft [nicht] bestritten“ werden, um in den Fokus der Verwerflichkeit zu rücken, so eine Entscheidung aus dem Februar 2010 (Az.: 1 BVR 369/04 u.a.).
Teils widersprüchlich, teils konsistent: Das Verfassungsgericht legt sich selbst hohe Hürden!
Prinzipiell zulässig ist demnach auch das Konzept der Remigration, gilt sie „lediglich als Beitrag zu einem breiter und allgemeiner verfolgten Ziel, nämlich der Schaffung einer ‚lebenswerten deutschen Stadt‘ verstanden wird, wobei Ausländer zwar als Problem, nicht aber notwendig als verächtlich hingestellt werden“. Vergegenwärtigt man sich darüber hinaus, was die Väter der Republik 1948 im Parlamentarischen Rat im Geiste und in der Replik auf die Gräuel des Nationalsozialismus beschlossen, so wird klar, dass die derzeitige Variante der Erklärung darüber, was wir unter dem Volk zu verstehen haben, weit entfernt ist von den Wurzeln und Ursprüngen des Grundgesetzes. Der Redaktionsausschuss formulierte damals: „Es empfiehlt sich nicht, das Asylrecht auch auf die politisch verfolgten Ausländer auszudehnen, da kein Anlaß besteht, das unbeschränkte Asylrecht auch unerwünschten Ausländern zu gewähren“. Und noch heute wird Bezug genommen auf das BVFG, in dem es in § 6 über den Staatszugehörigen heißt, dass er sich „in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt“ haben muss, sofern dieses Bekenntnis „durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird“.
Man wird der Alternative für Deutschland gerade keine Sittenlosigkeit oder Amoral unterstellen können, wenn sie zu diesen Worten nahezu deckungsgleich in ihrem Wahlprogramm 2025 ausführt: „Unsere Identität ist geprägt durch unsere deutsche Sprache, unsere Werte, unsere Geschichte und unsere Kultur. Letztere ist durch das Christentum, das antike Erbe, die Aufklärung, volkstümliche Traditionen sowie unsere künstlerischen und wissenschaftlichen Werke wesentlich beeinflusst“. Sie findet sich mit ihren Positionen in der Kontinuität zu den anfänglichen Zielen und Ambitionen, die man unmittelbar nach dem Ende des Dritten Reiches für legitim und hehr hielt. Dass das Bewahren und Aufrechterhalten dieser uns anheimgestellten Überlieferung momentan so schwerfällt, ist der Moderne in ihrem Duktus der Weltoffenheit geschuldet, die keine Rücksicht mehr darauf nimmt, dass Unversehrtheit und Fortbestand einer jeden Gemeinschaft schon in internationalen Konventionen festgeschrieben sind: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“ (Art. 1 IPbpR).