Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „AfD legt Verfassungsbeschwerde wegen Verdachtsfall-Einstufung ein“ (aus: „Tagesspiegel“ vom 22.08.2025)
Es ist noch keine zehn Jahre her, da habe ich mich politisch im eher linken Spektrum verortet. Doch nicht zuletzt meine nebenberufliche Tätigkeit als Sozial- und Integrationsberater trug am Ende dazu bei, dass ich nicht länger einer weltoffenen Ideologie frönen konnte, die uns einen Mehrwert von Vielfalt, Toleranz und Zuwanderung vorgaukelt, während die Solidarität mit dem eigenen Volk unter anderem auch von den Grünen mit Füßen getreten wird, können sie mit Nationalstolz und Heimatliebe von Grund auf wenig anfangen. Und so war mein Weg ähnlich vorgezeichnet wie jener von anderen enttäuschen, desillusionierten und verärgerten Bürgern, die aus der praktischen Erfahrung, des allabendlichen Konsums der Nachrichtenlage in unserer Republik und der hautnahen Begegnung mit der Wirklichkeit den Rückwärtsgang einschalteten, um sich am Ende bei der AfD als einziger Kraft wiederzufinden, die ziemlich glaubwürdig einen fundamentalen Wandel ohne Abstriche und Kompromisse verspricht. Doch bei aller Euphorie gestehe ich, nie wirklich Parteisoldat gewesen zu sein. Denn Liebe existiert für mein Verständnis zwischen Menschen, aber keinesfalls gegenüber einem Wettbewerber auf dem Stimmzettel. Wer nach purer Harmonie sucht, sollte sich nicht auf einem Markt tummeln, dessen Identität durch Meinungsverschiedenheit, Diskurs, Streitlust und Widerrede definiert ist.
Der messianisch wirkende Erlöserhype trägt ab und an fast religiöse Züge…
Und so befremdet mich seit jeher, welch dem Geiste von Robert Habeck entspringender Personenkult unter anderem auch in der Alternative für Deutschland betrieben wird, gewinne ich oftmals den Eindruck, bestimmte Charaktere würden einen ganzen Fanclub an Kopfnickern um sich scharen, der bisweilen wie ein eingeebneter Chor von treuen und untertänigen Jüngern wirkt. Zwar will ich die Terminologie des Verfassungsschutzes nicht teilen, dass sich sektenartige Strukturen entwickelt hätten, in denen Egozentrismus und Widerspruchslosigkeit zu den gängigen Tugenden und Idealen gehören. Trotzdem erscheint mir manch eine Veranstaltung dem Gottesdienst einer Freikirche zu ähneln, wenn nicht einmal Programmatik und Inhalt im Mittelpunkt stehen, sondern eine die Hände zum Himmel reißende Glorifizierung von Einzelnen, welche mit ziemlich plumpen, polemischen und populistischen Parolen ohne substanzielle Aussagekraft kaum für eine etwaige Regierungsbeteiligung geeignet erscheinen. Die Blauen setzen zu sehr auf das Pferd des Selbstläufers, profitieren sie nicht nur in den Umfragen vor allem von den Fehlern der Mächtigen, ohne für Zuspruch und Unterstützung allzu viel eigenes Fundament liefern zu müssen. Allzu groß ist der Verlass auf das Scheitern der Koalition, die Unbedarftheit von Außenkanzler Merz und die Unbeliebtheit der Ministerriege im Allgemeinen.
Doch auch mit Opferstilisierung tun sie sich selbst dann keinen Gefallen, wenn man bei ehrlicher und nüchterner Betrachtung tatsächlich der Prügelknabe der Nation ist, welcher nicht nur unter einer Brandmauer, sondern vor allem einer instrumentalisierten Justiz, den weisungsgebundenen Behörden und der Willkür von Wahlausschüssen zu leiden hat, wie es bei der jüngsten Entscheidung über den Ausschluss von OB-Kandidat Joachim Paul in Ludwigshafen exemplarisch und unverhohlen als Zeichen der Repression sichtbar wurde. Dass sich die Co-Chefs darüber hinaus entschieden haben, nunmehr Beschwerde in Karlsruhe gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall einzulegen, sollte ebenfalls kritisch betrachtet werden. Denn unter dem Strich bleibt die Frage, ob es einerseits den finanziellen Aufwand wert ist, andererseits in der jetzigen Atmosphäre überhaupt Erfolg verspricht, sich gegen etwas zu wehren, was die mündige Bevölkerung ohnehin als totalitäres Instrument der despotisch-zensorischen Elite entlarvt hat. Möglicherweise wird der Fokus allzu falsch gelegt, dürften auch die Prioritäten einigermaßen willkürlich gesetzt sein, stochert nicht nur die zweite Reihe in Sachen Professionalität und Erfahrung häufig im Nebel. Auftritte der Führungsspitze dürften zwar rhetorisch mitreißen. Von Geschlossenheit und Einhelligkeit wird man jedoch kaum sprechen können.
Das Agieren der AfD wirkt bisweilen unkoordiniert, fahrig und ziellos…
Wäre es nicht zielführender, effektiver und leichter zu vermitteln gewesen, beispielsweise in die Professionalisierung der Kommunikation und eine routinierte Außendarstellung in den neuen Medien zu investieren, standen gerade die Chancen auf Gewinnung der patriotischen Jugend kaum besser als heute? Doch weil man sich zu sehr auf Künstliche Intelligenz bei der Erstellung von Memes, Posts und Texten verlässt, wird man von Rivalen wie Heidi Reichinnek in der Überzeugung der heranwachsenden Altersgruppe deutlich unter Druck gesetzt, wenn nicht gar überholt. Bei der älteren Generation macht sich hingegen manch ein Zweifel breit, wie zuverlässig ein offenbares Sammelsurium unterschiedlichster Visionen und Ansicht sein kann, das sich nicht einmal bei Themen wie der Ukraine, dem Nahen Osten, der Migration oder dem Sozialstaat auf eine gemeinsame Linie verständigen kann, setzen die Einen auf Waffenlieferungen und pro Ukraine, die Nächsten agitieren gegen Binnenethnopluralismus und zugunsten höherer Grundsicherung für Deutsche, die Dritten bejubeln geförderten Wohnungsbau und klagen Russland an. So verhaftet die Wahrnehmung jenes „gärigen Haufens“, den Alexander Gauland auch deshalb leicht abschätzig betitelte, weil wohl in kaum einem anderen Zusammenschluss so viele Flügel und Narzissten auf einmal zu finden sind.
Doch was bleibt übrig, wenn man mit den Etablierten abgeschlossen hat, um nach einer Option Ausschau zu halten, die am Ende mehr ist als reiner Protest? Man könnte auf die Idee kommen, sich für die „WerteUnion“ oder „Bündnis Deutschlands“ als Konkurrenten zu interessieren, um gleichzeitig festzustellen, dass sie mit mageren Prozenten weit davon entfernt sind, irgendeine Rolle auf dem Berliner Tableau zu spielen. Das sich derzeit im Aufbau befindliche „Team Freiheit“ darf man zu einer Ausweichmöglichkeit erklären, fehlt es allerdings bislang an Strukturen und Ausrichtung, um schon jetzt ein abschließendes Urteil fällen zu können. Das BSW beabsichtigt zwar, durch eine Namensänderung vom Image der One-Woman-Show wegzukommen. Doch außer Frieden und Spesen ist bislang wenig an Konzepten gewesen. Und auch das Damoklesschwert einer beabsichtigten „Demokratisierung von Betrieben“ als Euphemismus für Enteignung und Verstaatlichung kann bei einem Antikommunisten nur auf Ablehnung stoßen. Wagt man sich weiter in Richtung einer nationaldemokratischen Orientierung, landet man bei „Die Heimat“, um dort allerdings auf manch homophobe und geschichtsrelativierende Einlassung zu stoßen. Daher bleibt kaum ein Kontrast zu Chrupalla, Höcke oder Weidel, will man seine Seele nicht wieder an CDU, SPD oder FDP verkaufen.