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Eng mit Erdogans Sicherheitsapparat verflochten, gegen Putin und contra AfD: Der designierte Verfassungsschutzpräsident lässt aufhorchen!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Geheimdienst: Vizepräsident Sinan Selen rückt an Spitze des Verfassungsschutzes“ (aus: „Deutschlandfunk“ vom 15.09.2025)

Nach einer ellenlangen Hängepartie steht das Bundesamt für Verfassungsschutz kurz davor, von einem neuen Präsidenten geleitet zu werden. Die Koalition in Berlin hat sich offenbar darauf verständigt, dass nach dem Ausscheiden von CDU-Politiker Thomas Haldenwang und fortwährender Vakanz der bisherige Vize Sinan Selen zum Nachfolger gekürt werden soll. Der 1972 in Istanbul geborene Verwaltungsjurist kam mit vier Jahren aus seiner Heimat nach Deutschland. Seine Eltern waren Journalisten bei der Deutschen Welle, er selbst ließ sich noch während Schulzeiten bei der Johanniter-Unfall-Hilfe zum Sanitäter ausbilden. Sein Studium, unter anderem mit dem Schwerpunkt Europarecht, absolvierte er erfolgreich an der Universität zu Köln.

Ab 2000 gehörte er der Abteilung Staatsschutz beim Bundeskriminalamt an. Beauftragt mit dem Personenbewachung von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Innenminister a.D., Otto Schily, leitete er die Fahndungen nach zahlreichen Schwerverbrechen, unter anderem den versuchten Bombenanschlägen vermeintlicher Islamisten auf Züge der Deutschen Bahn am 31. Juli 2006. Eine tatsächliche Parteinähe zur SPD leitete sich aus seiner damaligen Berufung aber nicht ab. Stattdessen stieg er die Karriereleiter weiter hoch, war Referatsleiter für Ausländerterrorismus beim Bundesinnenministerium. Später hatte er sodann die Position als Ständiger Vertreter des Abteilungsleiters Kriminalitätsbekämpfung im Bundespolizeipräsidium inne.

Eine steile Karriere, allerdings mit engen Verknüpfungen in Richtung Ankara…

Zwischen 2016 und 2019 wechselte der auf die türkische Staatsbürgerschaft Verzichtende in die Privatwirtschaft zu TUI, baute dort eine Sicherheitsstruktur auf, vereinheitlichte Standards und Prozesse, insbesondere bei Cybersicherheit und Krisenmanagement in der Risikoanalyse. Schon im Jahr 2018 warfen ihm Progressive vor, er würde zu hart gegen die verbotene kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgehen. Verschwörungstheorien besagten, er habe seinen Job auf Wunsch von Erdogans Regierung bekommen. Insgesamt gilt er als integer, anerkannt und respektiert. Allerdings machte er frühzeitig seine Positionierung gegen Russland öffentlich. Das Credo, Putin ziele vor allem auf Deutschland, gilt als wegweisend.

Sie scheint genauso voreingenommen wie die dargebrachte Haltung zur AfD. Deren Mitglieder würden immer rechtsextremer, die Partei sei auf dem Kurs, gegen das Prinzip der Menschenwürde zu verstoßen. Zumindest besagt das jener von ihm ausgearbeitete Bericht, den der 53-Jährige zusammen mit Alexander Dobrindt vorstellte. 2019 beklagte er auf einer Tagung, dass „heutzutage eine laut geäußerte Meinung mehr zähle als herausgearbeitete Fakten“. Diese Tatsache richte sich „gegen Andersdenkende, den Staat oder Unternehmen“, sie „verhindere einen demokratischen Diskurs“. Ohne hierbei auf weitere Details, kann man durchaus mutmaßen, dass sich der Jurist prinzipiell gegen Kritik an den Mächtigen stemmt. Ein Systemling vielleicht?

Der Versuch eines Spagats, sich nicht den Anwurf der Befangenheit einzuholen…

Zweifelsohne hatte er sich dort auch dem Linksradikalismus zugewendet, kritisierte die Angriffe auf Polizisten und Zivilisten während des G20-Gipfels – und fragte diesbezüglich: „Waren alle Opfer Klassenfeinde? Wie der VW Polo eines Hamburger Pflegedienstes?“. Dass er ein äußerst fragiles, fragwürdiges und folgenreiches Gutachten absegnete, das kurz vor dem Ausscheiden von Nancy Faeser der Alternative für Deutschland das nunmehr vor Gericht verhandelte Etikett verfassungswidrige Anrüchigkeit einbrachte, lässt allerdings darauf schließen, dass der erstmalig als Behördenleiter mit Migrationshintergrund in seine neue Stellung aufsteigende Rechtsanwalt um Quellen, Substanz und Tragfähigkeit nicht allzu sehr bemüht scheint.

Viel eher dürfte er der Weisungsgebundenheit frönen, seine Mahnung zu Grundgesetztreue augenscheinlich besonders in Richtung Alice Weidel und Tino Chrupalla adressieren. Diese Vermutung passt ins Bild, hatte die Abgeordnete Beatrix von Storch 2020 die Erkundigung an die Regierung gerichtet, ob es zutreffe, „dass der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Demonstrationen, die gegen die Corona-Politik der Bundesregierung gerichtet sind, als gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet eingeschätzt hat“. Die Exekutive war um Schadensbegrenzung bedacht: „Das Zeigen von ‚Reichsflaggen‘ […] dürfte im Regelfall aber nicht alleine ausreichen, um eine Versammlung als extremistisch einstufen zu können“.

Wie distanziert steht Selen Islam und religiösem Terrorismus gegenüber?

Wie verhält es sich darüber hinaus mit der Tatsache, dass an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes künftig ein Repräsentant der Gewalten steht, welcher dem islamischen Kulturkreis zugehört? Zumindest stellte eine ähnlich lautende Frage der bayerische Landtagsmandatar Gerd Mannes von der AfD schon im Jahr 2022. Aus dem Kabinett Söder kam hierauf prompt die Erwiderung: „Bei der Ausübung des Diensts sind die Beamtinnen und Beamten jederzeit bereits durch Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden und unterliegen der staatlichen Neutralitätspflicht […] Darüber hinaus hat die Zugehörigkeit eines Bewerbers zu einer Religionsgemeinschaft bei der Einstellung keine Relevanz und wird daher nicht erfasst“.

Besteht die Gefahr, dass jemand auf einem gewissen Auge blind sein könnte, weil er bei der Erfassung von muslimischem Antisemitismus aus weltanschaulicher Verbundenheit eventuell befangen ist? Zwar entstammt Selen einer säkularen Familie, brachte sich für eine Beratungsstelle gegen Salafismus in Bonn ein. Trotzdem stand immer wieder der Vorwurf im Raum, dass er als „Sherpa“ enge Kontakte zu türkischen Sicherheitsbehörden hält, die dem ultrareligiösen Machthaber der AKP unterstehen. Und dass der nun Beförderte einst forderte, „die Deutungshoheit der Extremisten über den Islam zu brechen“, besagt lediglich, dass er den Glauben entpolitisieren will, aber ihn im Kern wohl doch mit der liberalen Ordnung kompatibel einschätzt.