Kommentar von Dennis Riehle
Wenn Wankelmütigkeit einen Namen kennt, dann heißt sie nicht erst seit gestern Wolfgang Kubicki. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages fällt wie kaum ein anderer Abgeordneter als ein sich ständig der aktuellen Gemengelage anpassendes und biegsames Fähnchen im Wind auf. Seine Flexibilität reicht so weit, um an einem Tag ein Gesetz in seiner Gänze zu zerreißen – und wenige Stunden später im Plenum die Zustimmung für genau dasselbe Vorhaben zu erteilen. Für einen Moment spielt er Opposition in der eigenen Koalition. In der anderen Sekunde mahnt er staatstragende Verantwortung ein und geht mit Habeck oder Scholz Seit‘ an Seit‘. Oft wollte er das Bündnis bereits aufkündigen, damit er es im nächsten Atemzug als notwendiges Übel verteidigt, um Deutschland nicht in eine noch größere Krise zu stürzen, als es die Ampel mit ihrer Abrissbirne bereits ohnehin getan hat. In Interviews und Kommentaren kritisiert er zu Recht die pluralistischen Gebaren der Grünen oder das grundgesetzwidrige Experimentieren der Bundesinnenministerin, die zum Schutz der Demokratie alle Widerrede gegen die herrschende Klasse oberhalb und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sanktionieren will. Er schwadroniert vom Ende des Verfassungsstaates und liegt in seiner Einschätzung aufkommender Tendenzen eines neuen Totalitarismus richtig. Aber ihm fehlt Rückgrat und Courage, diese Aufrichtigkeit auch in den entscheidenden Momenten durchzusetzen. Seine Voten bei Abstimmungen folgen stets dem gleichen Muster des einen Schritt nach vorne – und zwei wieder zurück.
Im morgendlichen ÖRR gibt er den Hüter der Meinungsfreiheit, kurze Zeit später legt er seine Abstimmungskarte in die Wahlurne, die die Axt an die Rechtsstaatlichkeit anlegt. Es dürfte innerhalb und außerhalb der FDP keinen Politiker geben, der sich derart zuverlässig unzuverlässig zeigt wie der kühle Niedersachse mit dem Hang zur bisweilen sogar zwanghaft anmutenden Redezeitbegrenzung der Parlamentarier. Wer auf seine Zusagen vertraut, hat nicht nur auf Sand gebaut. Sondern setzt sich als Souverän bewusst und in masochistischer Manier der Volksverdummung aus. Immerhin kokettiert der einst im Kieler Landtag repräsentierende Jurist wiederkehrend mit dem Ende der Zusammenarbeit zwischen Rot, Grün und Gelb – um sich im letzten Moment an die liberale Weisheit zu erinnern: Es ist im Zweifel eben doch besser (und vor allem für den Amt- und Mandatsträger monetär und diätetisch ertragreicher), grottenschlecht zu regieren, als gar nicht zu regieren. Und so bleibt es auch im aktuellen Beispiel lediglich bei der Feststellung, dass es innerhalb der eigenen Partei viele Fürsprecher für ein Ende des Berliner Schreckens gibt – deren unmissverständliche Stimme man aber spätestens beim Mitgliedervotum mit Füßen getreten hat. Letztendlich sind die Freien Demokraten der größte Umfaller in dieser Zweckehe. Keine der beteiligten Kräfte musste sich so oft dem hinkenden Kompromiss hingeben – und wesentliche Kernforderungen, die eigene Identität und den politischen Kern offenbaren. Ob man nun beim Heizungsgesetz die Technologieoffenheit herschenkte, beim Nachtragshaushalt 2021 auf jegliche finanzpolitische Einsicht verzichtete, beim Bürgergeld das Gleichgewicht zwischen „Fördern und Fordern“ aufgab, in der Flüchtlingspolitik einen klaren Beschluss zur Bezahlkarte nicht ohne aberwitzige Zugeständnisse an Paus und Kollegen hinbekam, sich bei der Energiewende und dem Verbrenner-Aus der letzten Vernunft berauben ließ oder in der Kostendruckinflation die richtige Mischung aus expansiven und restriktiven Maßnahmen verpasste: Um des Machterhalts willen, hat man sich bis zur Unkenntlichkeit verwässern lassen. Selbst in der Stammwählerklientel rumort und bröckelt es mittlerweile an allen Ecken und Enden. Und hätte man nicht zuletzt Bundesverkehrsminister Wissing gehabt, der mit einem geschickten Schachzug der Androhung von Fahrverboten die Folgen der ökologistischen Transformation in aller Brachialität für die heimische Automobilistenseele vor Augen führte, würde man in den Umfragen bereits als „Sonstige“ deklariert. Dass es die FDP mit Sensitivität für die Stimmung beim kleinen Mann noch nie so recht hatte, dafür muss man nicht einmal die Spätrömische Dekadenz, die „Mövenpick“-Affäre oder die „Schlecker-Frauen“ bemühen. Da genügt es schon, wenn Lindner, Dürr und Djir-Sarai Überstunden in Deutschland ebenso steuerlich begünstigen möchten wie die Arbeit von ausländischen Fachkräften. Oder man bei stagnierender oder gar leicht rückläufiger Lebenserwartung die Deutschen zur postmortalen Rente mit 72 ermutigen möchte. Solche Volksvertreter braucht in einem Land niemand, das Selbstbestimmung bis zum Umfallen toleriert, Cannabis zum Schönkiffen der Regierung legitimiert und die Turbo-Staatsbürgerschaft für jeden Illegalen hofiert.