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Sachsen-Anhalt könnte für historische Schlagzeilen sorgen, findet die AfD vom Personenkult zu Inhalten und Programmatik!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Ulrich Siegmund: Wie der TikTok-Star der AfD die Alleinregierung ansteuert“ (aus: WELT vom 17.08.2025)

Bringt Sachsen-Anhalt die blaue Wende in Deutschland? Im kommenden Jahr wird in Magdeburg ein neues Parlament gewählt. Und im Augenblick stehen die Vorzeichen auf erdrutschartige Verschiebungen in der Parteienpräferenz, obwohl die letzte Umfrage weiterhin die CDU mit 34 % vor der AfD (30 %) sah. Dennoch ist der populäre Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland, Ulrich Siegmund, davon überzeugt, dass es für eine Alleinregierung reichen könnte. Dass dieses Vorhaben nicht gänzlich abwegig ist, zeigt sich an einfachen Rechenspielen. Ziehen FDP und Grüne nicht mehr ins Plenum ein, würden rund 42 % der Stimmen bereits für eine absolute Mehrheit ausreichen.

Zwar liegt noch eine Menge Arbeit vor der Opposition, welche allerdings einen weiteren Schub bekommen haben dürfte, seit Reiner Haseloff bekannte, nicht mehr für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren. Sein Nachfolger Sven Schulze wirkt in der Öffentlichkeit ziemlich farblos, kann nicht auf einen Bonus vertrauen, erweist er sich bislang kaum als väterliche Figur für eine Region im Osten, in der die Menschen offenbar bereit dazu sind, einen historischen Neuanfang zu wagen. Schließlich scheinen die Blendungsversuche des Kartells dort nicht zu verfangen, wo man Lügen gewohnt ist.

Wer auf Charaktere allein setzt, dem kann im Wahlkampf schnell die Puste ausgehen!

Gleichzeitig bleibt das Projekt der Machtübernahme kein Selbstläufer. Zwar kann Siegmund auf eine enorme Präsenz in den sozialen Medien verweisen, die ihn gerade bei TikTok zum einflussreichsten Politiker nach der Linken Heidi Reichinnek hat aufsteigen lassen. Und auch seine rhetorischen Fähigkeiten sind nicht zu unterschätzen. Er redet eloquent und kann mitreißen, zeigte erst jüngst bei einem Auftritt in Hamburg, wie sehr er die Massen bewegt. Gleichzeitig tritt er häufig egozentriert auf, manche Veranstaltung wirkt wie ein Freiluftgottesdienst, wenn gestandene Erwachsene den 34-Jährigen anbeten wie einen Messias.

Gleichzeitig beweisen diese Bilder aber auch, dass sich kaum noch jemand beeindrucken lässt von der Schmutzkampagne, die gegen ihn gefahren wurde, weil er am sogenannten „Geheimtreffen“ nahe Potsdam teilnahm. Zusammen mit dem österreichischen Aktivisten und weiteren Vertretern aus der rechten Szene diskutierte man über Remigration, was nicht zuletzt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Vereinbarung zur zwangsweisen Abschiebung auch hiesiger Staatsbürger dargestellt wurde. Selbig Berichterstattung wurde später von Gerichten als Falschbehauptung entlarvt, dennoch verlor der geborene Havelberger den Vorsitz im Sozialausschuss des Landtags.

Es wäre fatal, sich als Opfer oder Märtyrer zu stilisieren!

Dass der Co-Chef seiner Fraktion vom Verfassungsschutz entsprechend gebrandmarkt wurde, ist in der heutigen Atmosphäre des Denunzierens patriotischer und heimatverbundener Überzeugungen keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Entsprechend gehen Anwürfe völlig fehl, der studierte Wirtschaftspsychologe und sein Umfeld relativierten den Holocaust nur deshalb, weil sie die Geschichte nicht auf 12 Jahre reduzieren wollen. Die Forderung nach einer Abwendung vom alleinigen Schuldkomplex, hin zu einer Mentalität der Erinnerung und Mahnung, hat nichts mit einem Verkennen der grausamen Verbrechen des Nationalsozialismus zu tun.

Sondern sie entpuppt sich lediglich als pragmatischer und gesunder Blick auf einen Ausschnitt der Vergangenheit, für den jene nicht verantwortlich sein können, die erst nach 1945 geboren wurden. Gleichwohl genügt es nicht, sich von Seiten der AfD in die Opferrolle zu begeben. Es braucht viel mehr das Darbieten von Inhalt und Programm, polemische Phrasen und verkürzte Botschaften reichen für legislativen und exekutiven Einfluss nur bedingt. Schließlich lässt sich mit Abschiebungen und Grenzschließungen zwar Stimmung verbreiten, gelöst wären damit viele Probleme aber auch deshalb nicht, weil die Wurzeln unseres momentanen Schiefstandes tiefer liegen.

Die AfD muss praktische Antworten liefern, will sie nicht als populistisch gelten…

Und so stellt sich die Frage, ob das Idol seiner Bewegung wirklich genügend Erfahrung mitbringt, um nicht nur Rückführungen im großen Stil praktisch umzusetzen, sondern einen Kipppunkte bereits hinter sich gelassenen Kulturwandel noch rechtzeitig zu stoppen, der Mitteleuropa sukzessive die okzidentale Prägung und Tradierung nimmt? Dass der frühere Handelsunternehmer radikale Reformen beabsichtigt, dürfte unzweifelhaft sein. Schon die Ansage, dass er keinen der ideologischen Wettbewerber als geeignet sieht, um eine gemeinsame Koalition einzugehen, verdeutlicht seinen ernsten Willen.

Doch auch diese Haltung wird ihm wiederum nachteilig ausgelegt, werfen Kritiker nicht nur eine Ferne zu demokratischen Werten und Prinzipien vor, sondern das Streben nach Despotie. Und tatsächlich darf das ehemalige CDU-Mitglied nicht länger den Anschein erwecken, sich prinzipiell gegen jede Form der Zusammenarbeit zu stemmen, die in der Volksherrschaft eigentlich Normalität sein sollte. Bisweilen wirken die Erwartungen Siegmunds maximal und extrem, möglicherweise utopisch und verkopft. Trotz Selfies mit den Bürgern läuft er daher Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren. Und so muss er erst noch beweisen, dass seine Qualitäten über jene eines Posterboys hinausgehen.