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Bei allem Respekt vor den Zeitzeugen sind leichtfertige Vergleiche mit der Vergangenheit fragwürdig!

Politik- und Kommunikationsberater kritisiert die offenherzige Parallelenziehung zwischen 1933 und 2024

Nicht nur aus Anlass des Holocaust-Gedenktages haben Zeitzeugen daran erinnert, dass die momentane Situation in Deutschland Ähnlichkeiten zu Verhältnissen von 1933 aufweisen würde. Diesem Vergleich widerspricht der Politik- und Kommunikationsberater Dennis Riehle (Konstanz) ganz ausdrücklich – und verweist auf zahlreiche Unterschiede zur Vergangenheit. Er erklärt in einem Statement wie folgt:

Ich habe unendlich hohen Respekt vor jedem Überlebenden des Holocaust. Und doch sind mir diese Aussagen zu vage: “So hat es damals auch angefangen”. Was ist “so”? Wo liegt die konkrete Parallele? Gibt es in Deutschland tatsächlich einen strukturellen, breitflächigen und in der Motivation oder Ursächlichkeit annähernd vergleichbaren Antisemitismus oder Rassismus gegen Menschen einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit? Es ist einigermaßen unbestritten, dass in diesem Land Hetze gegen Juden verbreitet wird – und auch der Argwohn und die Missgunst geben viele Muslime ist unübersehbar. Doch sind sie substanziell, repräsentativ und von einer derartigen Menschenfeindlichkeit untermauert und katalysiert, wie das nun von manchen Zeitzeugen mit Blick auf die Geschehnisse von 1933 gemutmaßt wird?

Ja, es stimmt, ich war nicht dabei. Ich habe mich aber nicht nur in der Schule, sondern auch danach immer wieder intensiv mit der gesellschaftlichen Stimmung, der Psychologie, mit den Beweggründen und vor allem den Rahmenbedingungen beschäftigt, die es überhaupt möglich gemacht haben, dass es zu dem schlimmsten Verbrechen an der Zivilisation in der Geschichte kommen konnte. Und wenn ich mir gleichzeitig einige Berichte von Überlebenden aus Auschwitz durchlese, die in einer Detailliertheit beschreiben, welche Enthemmung, welche Dehumanisierung, welche Abstumpfung nötig war, um eine derartige Bestialität an Individuen praktizieren zu können, beschäftigt mich durchaus die Frage, ob ich mich so sehr täusche oder in einer weit vom Dritten Reich entfernten Generation der Naivität aufgewachsen bin, der es an Empfindsamkeit dafür fehlt, dass sich etwas Ähnliches wieder anbahnt. Gibt es so viel Bereitwilligkeit in unserer Bevölkerung, neuerlich Massenmorde zu begehen? Sollte es eine große Mehrheit an Personen geben, die wirklich nichts gelernt hat? Oder ist es möglicherweise doch das völlig verständliche, nachvollziehbare Trauma, das in vielen Opfern der Nazi-Diktatur bis heute innewohnt, welches ihre Antennen hypersensibilisiert – und auch dann anschlagen lässt, wenn nur der Hauch von Destabilität durch das Land weht?

Es mag sein, dass ich zu gutgläubig bin. Und dass ich nicht wahrhaben möchte, wie sich erneut Abgründe auftun. Vielleicht fehlt mir auch die Vorstellungskraft, aber ich sehe zwischen einer massiven Unzufriedenheit über die Politik einer Regierung, der Verärgerung und Verbitterung über eine ausbleibende Durchsetzung von Regeln und Gesetzen mit Blick auf eine völlig losgelöste Migrationspolitik oder einer begründeten Sorge um Kultur, Werte und Wurzeln einen doch erheblichen Unterschied zu einer von abgrundtiefer Verachtung und blankem Hass getriebenen Rachsucht gegenüber auserkorenen Sündenböcken. Ja, auch wir sind in einer wirtschaftlich schlechten Verfassung, manche Mitbürger teilen ethnische Vorurteile und Ressentiments. Aber kann das in Relation gesetzt werden zu einem den Ersten Weltkrieg und seine Folgen zerstörten Land, einem desillusionierten Volk und durch die Wirren der Weimarer Republik in jeglichen Fundamenten erschütternden Staatswesen? Ich tue mir damit schwer.

Weitere Informationen auf www.dennis-riehle.de.