Kommentar von Dennis Riehle zum Beitrag „Merz scheitert im ersten Wahlgang – CDU-Politiker ‚fassungslos'“ (aus: WELT vom 06.05.2025)
Nein, werte Union, es war keine ledigliche Fehlzündung, die man als Gott gegeben hinnehmen und möglichst schnell abhaken kann, als es bei der elementaren Entscheidungsfrage einer Koalition, nämlich jener nach dem Bundeskanzler, zum ersten Mal in der Geschichte nicht für einen Erfolg im ersten Durchlauf reichte. Die Geschehnisse des 6. Mai 2025 sind weder ein bloßer Schuss vor den Bug, noch ein schlichter Denkzettel für den Alleingang eines nach Macht, Hegemonie und Cäsarenwahn strebenden Egozentrikers aus dem Sauerland. Sondern eine brachiale Absage an das ausgehandelte Regierungsprogramm, welches sich wie eine Anleitung zum Wählerbetrug liest, aber von einer Umkehr und Rückbesinnung genauso viel Substanzielles enthält, wie die präsentierte Mannschaft der Minister an Lobbyfreiheit, Charisma, Fachkompetenz oder Politikerfahrung.
Es ist die Veräußerung der Seele von CDU und CSU allein um des Einzugs in die Berliner Waschmaschine willen, die man bereits mit der Kungelei um den riesigen Schuldenberg im Vorfeld der Amtseinführung mit der SPD aushandelte, welche als Bankrotterklärung von jenen gesehen wird, die sich wohl auch künftig nicht besänftigen lassen, wenn man bei sämtlichen Gesetzesvorhaben darum fürchten muss, möglicherweise keine eigene Mehrheit stellen zu können – und sich kurzerhand dankbar zeigt, auf die Unterstützung der im Schnellverfahren vom Bann der Unvereinbarkeit entfesselten Linken zurückgreifen zu können. Wie soll Deutschland wieder in sicheres Fahrwasser gelangen, wenn der Narzissmus eines Charakters dominiert, der sich an Merkel die Zähne ausbiss – und wiederholt mehrere Versuche für das Erreichen seiner Lebensziele brauchte?
Wir haben erneut Führung bestellt, werden aber noch weniger von ihr bekommen als unter Olaf Scholz. Und diese bittere Wahrheit muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Denn wenn wir die Ampel als Maßstab nehmen, um am Ende feststellen zu können, dass sie von mehr Kontinuität und Stabilität getragen war als das jetzige Miteinander von Schwarz und Rot in den Kinderschuhen, sind die Prognosen für die unmittelbare Zukunft der Republik düster und desaströs. Wir werden gegängelt von der One-Man-Show eines selbstsüchtigen Rechtsanwalts mit zahlreichen Enttäuschungen über verpasste Träume und Wünsche, welche auch deshalb so gefährlich ist, weiß man doch um die Eckpunkte der Agenda dieses taktierenden Hünen, der inhaltlich eher kleinere Brötchen backt. Und nach seinem Rambo Zambo erheblich leisere Töne spucken dürfte.
Somit sind weder eine große Migrationswende noch eine Ankurbelung der Wirtschaft von ihm zu erwarten, ist doch auch er ein Anhänger von Vielfalt und Transformation. Wir werden unter ihm kaum unabhängiger sein, sondern uns noch weiter hineinziehen lassen in den Ukraine-Krieg. Die Abkehr vom Bürgergeld ist mehr Schein als Sein. Und ob man künftig die Staatsbürgerschaft erst wieder nach fünf statt drei Jahren erhält, spielt so lange keine Rolle, wie man den Gedanken von Asyl nicht wieder auf das Niveau zurückführt, welches die Gründungsväter 1948 vorgesehen hatten. Schon heute sind die Nebelkerzen erkennbar, welche diejenigen einlullen werden, die nicht Heidi Reichinnek, sondern die AfD als größte Gefahr für die Demokratie ansehen. Und so stehen wir wahrlich inmitten historischer Zeiten. Grund zur Freude haben allerdings nur die Dreisten.