Kommentar von Dennis Riehle
Dass es in einer zeitgeistigen Gesellschaft zu moralisch höchst verwerflichen Entscheidungen kommt, ist nicht wirklich etwas Neues. Blicken wir gerade auf die sozialistischen Regime, dann ist dort von Sittlichkeit nie allzu viel zu spüren gewesen. Und deshalb wundert es auch kaum, dass sich auch das auf einem durchaus totalitär anmutenden Weg befindliche Deutschland zu immer mehr ethischen Dammbrüchen hinreißen lässt. Nachdem nun eine unter der Gnade der Grünen eingesetzte Regierungskommission zudem nicht wirklich überraschend zu dem Ergebnis kommt, man möge hierzulande § 218 StGB abschaffen – und damit in logischer Konsequenz die Abtreibung im Prinzip bis zum Tag der Entbindung erlauben, offenbart sich erneut das völlig verkommene Verhältnis einer linken Philosophie zum Wert des Lebens. Da würde man uns am liebsten das Atmen verbieten, damit wir keine weiteren CO2-Emissionen in die Atmosphäre pusten können. Man begrüßt das Konzept der Reerdigung, also eine Form der Kompostierung von menschlichen Leichnamen. Und man distanziert sich auch nicht von der Forderung manch eines Klimaaktivisten, zugunsten der Durchschnittstemperaturen eine Sterilisation in Betracht zu ziehen – damit auch ja kein Nachwuchs die schrecklichen Feuersbrünste, Fluten und Stürme der Wetterapokalypse ertragen muss oder mit seinem Fußabdruck zur schlimmsten Erderhitzung seit dem Urknall beiträgt.
Die Feindlichkeit gegenüber unserem Dasein zeigt sich gleichsam indirekt. Mit der Teil-Legalisierung von Cannabis hat man den Gesundheitsschutz des Individuums einer völlig ins absurde getriebenen Freiheit, Beliebigkeit und Willkür geopfert. Und auch in der sich hinter einer fortwährenden Kollektivschuld versteckenden Verachtung gegenüber sich und der Nation schlummert im Prinzip das Hadern mit der eigenen Existenz. Dass die derzeit in Deutschland geltende Fristenlösung verfassungswidrig sein soll, kann schon allein deshalb angezweifelt werden, weil Karlsruhe den seit Jahrzehnten bestehenden Kompromiss bisher nie gerügt, sondern die grundsätzliche Strafbarkeit die Schwangerschaftsabbruchs beispielsweise in seinem Urteil vom Mai 1993 bestätigt hat. Insofern ist nicht ersichtlich, warum dieser Tenor heute keinen Bestand mehr haben sollte. Stattdessen ist es gerade die in einem Rechtsstaat notwendige Abwägung von Interessen, welche die mit Mühe gefundene Einigung über die Befreiung von Sanktionierung bei einem künstlich eingeleiteten, medizinisch nicht angezeigten Abort im Falle der ersten drei Monate und einer entsprechenden Beratung ermöglichte.
Denn all die Feministen in diesem Land vergessen bei ihrer ständigen Forderung nach der Selbstbestimmung des weiblichen Geschlechts über ihren Körper, dass Demokratie nie eine Einbahnstraße ist, in der man Ansprüche nur in eine Richtung formulieren kann. Schlussendlich steht nämlich das Verlangen eines heranwachsenden Kindes nach dem Erblicken der Welt dem inhärenten Votum der Mutter gegenüber, von der man(n) in einer kultivierten Umgebung eigentlich erwarten könnte, dass sie sich bereits vor dem Geschlechtsakt darüber bewusst wird, ob sie dazu bereit ist, die potenziell überaus positiven Folgen zu tragen. Ja, in einem aufgeklärten und fortschrittlichen Miteinander ist es dem Einzelnen durchaus abzuverlangen, vor dem One-Night-Stand trotz aller erotischen Bedürfnisse und sexueller Triebe das Gehirn einzuschalten und sich mit dem Gegenüber zu einigen, ob man nicht im Zweifel die Varianten einer Kontrazeption oder gar der Enthaltsamkeit in Betracht ziehen sollte, wenn man die Konsequenzen des Beischlafs nicht in Kauf zu nehmen überzeugt ist. Denn mit dem Leben spielt man nicht, auch nicht mit dem ungeborenen. Trotz der schlechten PISA-Ergebnisse kann sich niemand auf den Standpunkt zurückziehen, er habe nichts von Empfängnis und Verhütung gewusst. Die Mär von all den ungewollten Gestationen zieht keinesfalls. Denn mit der bloßen Ausnahme einer gewaltsam herbeigeführten Zeugung und dem in unseren Tagen nur noch selten vorkommenden Versagen der zur Verfügung stehenden Optionen zur Geburtenkontrolle kann sich niemand herausreden.
Immerhin gibt es in einer entwickelten und normativen Gemeinschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und dazu gehört der verantwortungsvolle Umgang mit diesem höchst sensiblen und zerbrechlichen Wesen im Bauch der Frau, das viele Anhänger der Emanzipation lediglich als einen „Zellklumpen“ beschreiben, den man „wegzumachen“ legitimiert sei. Doch es ist gerade dieser höchst verwerfliche, subtile, verrohte Denkfehler der Moderne, welcher dem Narzissmus und der Verwirklichung des Egos Absolutheit garantiert, während diejenigen das Nachsehen haben, die sich gegenüber Entschlüsse der heutzutage als „Gebärdende“ bezeichneten Bevölkerungsklientel nicht verteidigen können. Und dazu gehört nicht einmal nur das Baby, das die Radikalität einer solche Interruptio Graviditatis zu spüren bekommt. Auch der an der Befruchtung gleichsam beteiligte Vater gerät bei einem solchen Entscheid ins hilflose Hintertreffen – und muss zusehen, wie etwas zerstört wird, was für unser gesamtes Volk von Bedeutung ist. Denn jeder Nachfahre ist zugleich ein Garant für die Zukunft – und darüber hinaus das größte Geschenk, das uns die Schöpfung machen kann. Doch aus dieser Perspektive wird der Sprössling kaum noch gesehen, weil wir in unserer Öffentlichkeit die Kleinsten als Karrierekiller betrachten, die der Profilierung der Dame von Welt angeblich im Wege stehen sollen.
Dabei gibt es so viele Beispiele, wie die Vereinbarkeit von Erziehung und Job gelingen kann. Hierüber sollten die Hadernden aufgeklärt werden, die in den Schwangerschaftskonfliktgesprächen von heute aber eher noch in ihrer Auffassung bestärkt werden, das Ich in den Vordergrund zu stellen. Deshalb braucht es auch einen Mentalitätswechsel, der uns die unschätzbare Güte der Abkommen für den Fortbestand der Zivilisation vor Augen führt. Es bedarf keines Hinweises auf ein Zurückfallen in das Mittelalter, wenn wir von der tradierten Rolle der Familie als Tugend sprechen, die erstrebenswert und von höchster Klasse für das Gemeinwohl ist. Ohne Zweifel müssen wir uns als Sozietät um die bestmöglichen Startbedingungen kümmern. Gerade der deutsche Sozialstaat, der mit seiner Vielfalt an Unterstützungsmöglichkeiten unter die Arme greift, ist ein sicheres Auffangnetzt für alle, die sich in der Aussicht auf nahende Wehen überfordert und alleingelassen fühlen. Diesen doppelten Boden müssen wir besser vermitteln und ihn bekanntmachen. Das Bemühen um Hilfe in finanzieller, materieller und personeller Hinsicht, aber gleichsam das Bejahen der Kontinuität unserer Spezies sind kollektive Aufgaben von vorderstem Rang, wenn wir den Erhalt und die Gedeihlichkeit unserer Art nicht aufs Spiel setzen wollen. Wie schön wäre es also, wenn wir uns nicht ständig darüber unterhalten würden, wie wir die Versorgungsmöglichkeiten für abtreibungswillige Frauen verbessern können, sondern eine Kampagne zur Wiedererlangung von Anstand, Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben starteten?