Kommentar von Dennis Riehle
Nachdem nun Bayern vorangeschritten ist und die geschlechtersensible Sprache im öffentlichen Raum verboten hat, melden sich die empörten Feministen in diesem Land zu Wort – und sehen alle Fortschritte der Emanzipation wieder in sich zusammenfallen. Da war es jahrhundertelang völlig gängig und anerkannt, dass sich auch Frauen vom generischen Maskulinum angesprochen fühlten, bis sich in der zeitgeistigen Moderne plötzlich die Forderung danach auftat, das gesprochene und geschriebene Wort müsste jeden Menschen erreichen – ob männlich, weiblich, divers oder dinglich. Dass wir mit Sternchen, Doppelpunkten und Binnen-I den Lese- und Redefluss massiv behindern und – damit auch das Verständnis von Texten erheblich erschweren, daran denken natürlich diejenigen nicht, die sonst am lautesten schreien, wenn es um Teilhabe und Inklusion geht. In einer egozentrischen Manier verlangen die Anhänger des Gendertums die Anpassung einer Mehrheit an die Minderheit – und das allein aufgrund ihrer eigenen Befindlichkeiten. Der Rechtschreibrat hat bereits mehrmals betont, dass Sonderzeichen nicht in die Mitte eines Wortes gehören.
Eine Gesellschaft, die Konventionen und Vereinbarungen nur deshalb aufgibt, weil sie die sexusdifferenten Gefühle einer Bewegung verletzen könnten, die mit ihrem Totschlagargument der Toleranz und Antidiskriminierung immer weitere Forderungen nach mehr Gleichberechtigung und dem Negieren der Binarität aufstellt, gibt sich letztlich nicht nur der Beliebigkeit und Willkür hin, sondern lässt einen Freiheitsbegriff ad absurdum führen, der am Ende in Anarchie endet. Denn worauf sollen wir uns noch verlassen können, wenn jeder von uns täglich in einem neu empfundenen Geschlecht aufwacht – und sich bei der falschen Anrede sogleich beleidigt fühlt? Es ist wieder einmal die Abscheu gegenüber dem Bewährten, die nun zu einer unter moralischem Druck verordneten Unbedingtheit führt, welche uns bewusst in Fettnäpfchen treten lassen soll. Denn es geht hier auch um einen Anspruch an Macht. Durch Gängelung, Tyrannei und der Vorhaltung der Benachteiligung, Missachtung oder Entwürdigung, versuchen immer mehr Menschen, sich vor Gericht entsprechende Entschädigungen einzuklagen – weil sie von ihrem Gegenüber nicht als der/die/das betitelt wurden, als welches sie sich im Augenblick der Adressierung wahrnahmen.
Wenn wir uns nicht länger diesem Chaos hingeben wollen – und den Prozess der Entfremdung untereinander nicht weiter katalysieren möchten, braucht es das Einschlagen von Pflöcken als ein Grundgerüst, an dem wir uns alle orientieren können. Und da die Evolution schlauer ist als wir, wäre es sinnvoll, wenn wir uns wieder auf die Natürlichkeit als Maßstab verständigen könnten. Denn im Ursprung sind wir zunächst einmal alle Menschen – die eine falsche Ansprache nur dann als Hass und Hetze deklarieren, wenn es um ihr Selbstbewusstsein nicht allzu gut bestellt ist. Doch eine Gemeinschaft kann nicht alle Minderwertigkeitskomplexe seiner Mitglieder kompensieren. Eine Sozietät baut auf Regeln auf, die eben nicht der Einzelne nach seinem Gutdünken in alle Richtungen verbiegen kann. Die Erfindung der Gendersprache ist allerdings genau solch ein Fall, bei dem die Würde mit dem Wohl und Wehe einer nach Aufmerksamkeit schreienden Kohorte verwechselt wurde – die vor Autarkie und Autonomie kaum noch laufen kann. Sollten wir uns künftig also auf den Pfad einlassen, aus Angst vor dem erhobenen Zeigefinger einer Nischengruppe Sittlichkeit und Normativität aufzugeben, treiben wir einen weiteren Keil in ein ohnehin von Spaltung und Polarisierung gezeichnetes Miteinander, das wieder mehr Kollektivismus statt Individualismus braucht.