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Sollte sich die deutsche Staatsräson nicht eher um Deutschland kümmern?

Kommentar von Dennis Riehle

Während uns Frau Baerbock den Nahost-Konflikt erklärt, erfährt der Bundeskanzler in China nicht die Aufmerksamkeit, die er sich erhofft hatte. Woran das wohl liegen mag? Vielleicht ist es simple Feststellung, dass Neutralität nicht so gut zu Deutschland passt. Diese Erkenntnis machen wir mittlerweile in nahezu allen Bereichen der Außenpolitik, wenn wir uns als Teil des transatlantischen Bündnisses in sämtliche Konflikte auf diesem Erdball einmischen – und uns dabei als moralische Weltpolizei aufspielen, die die Philosophie unserer mittlerweile durch totalitäre Züge an Glanz verlierenden Herrschaftsform in alle Herren Länder tragen möchte. Wir haben es wiederholt versucht, die Demokratie dort aufzuoktroyieren, wo sie eigentlich gar nicht gewünscht wird. Es ist die egozentrische Überheblichkeit des Westens, der beständig glaubt, dass seine Vorstellung von Freiheit einem Ideal entspricht, dem jeder Mensch auf diesem Globus nacheifern müsste. Aber man kann es niemandem verdenken, diesen Versuch der Unterjochung zurückzuweisen – wenn durch den vermeintlichen Akt der Entfesselung gleichzeitig die Etablierung von Wokeness, Selbstbestimmung, Ökofanatismus oder Geschlechtersensibilität einhergeht. Denn Willkür, Beliebigkeit und Chaos braucht in unserer menschlichen Zivilisation wohl kaum jemand. Und doch können wir von unserem missionarischen Eifer nicht lassen – und müssen unseren Senf überall dort beisteuern, wo angeblich unsere Interessen im Spiel sind. Unsere Sicherheit wurde aber weder am Hindukusch verteidigt, noch ist unsere liberale Art des Denkens und Lebens Gegenstand der Kämpfe im Donbass.

Wir haben unsere Bundeswehr ausverkauft und Waffen bis zum Ende nach Kiew geschickt, weil wir in einer falsch verstandenen Solidarität an der Anmaßung festhielten, dass es sich bei der militärischen Auseinandersetzung mit Putin um einen Konflikt handele, der zugunsten der Ukraine auf dem Schlachtfeld gewonnen werden könne. Natürlich ist es eine enttäuschende Einsicht, dass die Überzeugung unsererseits nicht standgehalten hat, wonach sich im 21. Jahrhundert keine Grenzen mehr mit Gewalt verschieben lassen. Schlussendlich war es aber vor allem die Hinwendung des Landes in Richtung NATO, die wesentliche mündliche Absprachen mit Moskau untergraben hat – und bei der vor allem die Bürger an der Front sowie im russophilen Osten generell nicht wirklich mitsprechen konnten. Ihre Stimmen wurden nach den Maidan-Protesten weitgehend ignoriert. Stattdessen kümmerten sich die Präsidenten vor und einschließlich des derzeitigen Machthabers Selenskyi selbst maßgeblich um die weitere Europäisierung des gesamten Staatsgebietes – ließen dabei jedoch diejenigen ungehört, die sich in ihrer Prägung, Tradierung und Kultur nicht der kontinentalen Laxheit hingeben wollten. Es mag zwar durchaus eine bittere Pille sein, dass nach Dekaden der Ruhe wieder ein Krieg in unseren Breiten tobt. Schlussendlich ist der momentane Zustand aber wiederum ein Ergebnis des Expansionsstrebens der USA, für das Washington nun auch Berlin, Paris und London eingespannt hat. Kaum ein Experte zweifelt im Moment noch daran, dass das Leiden und Sterben nur mit einem Kompromiss enden kann, der im Zweifel auch die Abtretung von gewissen Gebieten – zumindest als autonome und demilitarisierte Zonen – beinhalten dürfte. Und hätte sich die Bundesrepublik nicht in ihrer Treue zum überseeischen Korsett zu einem abhängigen Anhängsel der Schutzmacht über dem großen Teich gemacht – und würde sich eher als Diplomat denn als Katalysator dieses unnötigen und aussichtslosen Kampfes verstehen, könnte sie im Zweifel eine wichtige Rolle in der Vermittlung spielen. Andererseits scheint es bereits in unserer DNA angelegt zu sein, dass wir uns nicht vorrangig auf unsere höchstpersönlichen Bedürfnisse, Präferenzen und Absichten besinnen. Stattdessen leiten wir aus der zweifelsohne moralisch fortbestehenden Verantwortung und Mahnung gegenüber dem jüdischen Volk eine Staatsräson gegenüber Israel ab, die derart immanent ist, dass sie einem Freifahrtschein für Jerusalem gleichkommt. Wir verwechseln dabei die unzerbrechliche Solidarität mit den ethnisch und religiös verwurzelten und doch immer wieder vertriebenen Menschen einerseits – welche aufgrund dieser Zugehörigkeit durch die Nationalsozialisten einer Massenvernichtung unvorstellbarer Grausamkeit und Bestialität ausgesetzt waren. Und andererseits den Umstand, dass eine Kritik an politischen Entscheidungen des Staates und der Regierung um Netanjahu nichts mit Antisemitismus zu tun hat. Unsere deutsche Leitschnur sollte in erster Linie darauf bedacht sein, sich um die Probleme, Sorgen und Nöte der immanenten Bevölkerung zu kümmern. Das Einstehen für jeden souveränen Staat ist eine Selbstverständlichkeit. Doch dafür braucht es keine gesonderte Doktrin, die im Zweifel hiesige Belange denen eines anderen Landes unterstellt – dem wir zwar Verbundenheit und Nähe entgegenbringen, für das wir aber nicht aus Gründen geschichtlicher Erbsünde unser eigenes Licht unter den Scheffel stellen sollten.

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