Kommentar von Dennis Riehle
Nicht nur eine Ehe ist heutzutage zumeist auf Zeit ausgerichtet. Auch ein politisches Zweckbündnis besteht meistens nur temporär – und verliert gerade dann an Bedeutung, wenn sich die Partner immer offensichtlicher für eine Anbiederung gegenüber dem weltanschaulichen Widersacher zur Verfügung stellen. Und so kann ein reinigendes Gewitter bis hin zu einer Scheidung durchaus notwendig und sinnvoll werden, falls der Wegbegleiter seinen Mitstreiter kurzerhand ins offene Messer rennen lässt. Es war schon ein immenser und exemplarischer Vertrauensbruch, den sich das französische Rassemblement National geleistet hat. Statt das Gespräch zu suchen, kündigte man ohne längere Überlegung die Fraktionsgemeinschaft auf – und sorgte offenbar zugleich auch dafür, dass die AfD im Europäischen Parlament künftig isoliert wird. Nicht nur in einer Liebesbeziehung würde man es kaum erdulden, wenn sich der Andere mit einer perfiden und arglistigen Bloßstellung hervortut – und damit nicht nur seinem Pendant in den Rücken fällt, sondern sich offenbar schon seit geraumer Zeit als Marionette von Ursula von der Leyen hervortut. Letztlich wissen wir aus der Vergangenheit nur allzu gut, dass die Egozentrikerin von der Seine bei Bedarf sogar zur Auslieferung des eigenen Vater bereit ist – und allein darauf abzielt, bei der Präsidentschaftswahl in ihrem Land möglichst anschlussfähig zu werden. Es spricht für eine fehlende Charakterlichkeit ihrerseits, sich im Zweifel auch auf einen Schmusekurs mit jenen zu begeben, von denen man sich einst mit Vehemenz abgrenzte – und sie zum Herausforderer in sämtlichen Themenbereichen erklärte.
So wiederholt sich nun auf dieser Ebene ein Gebaren, dass wir in unseren Breiten bereits als Brandmauer kennengelernt haben. Da überwindet die Union sämtliche ideologische Hürden – und macht sich plötzlich mit den Grünen gemein, allein um des Kartells gegenüber der Alternative für Deutschland willen. Jeder muss selbst damit klarkommen, das Gewissen und die Seele für das Erreichen von Macht und Einfluss preiszugeben. Es ist allerdings schäbig, dreist und böswillig, was hier wie dort an orchestrierte, Schauspiel stattgefunden hat – und aufgrund der reibungslosen Abläufe vermuten lässt, dass eine solche Niedertracht bereits von langer Hand geplant war. Die umstrittene Äußerung von Maximilian Krah war in der Sache nicht falsch und vor allem durch ihre Differenzierung allzu substanziell, nachvollziehbar und verhältnismäßig. Sie kam im Zweifel allerdings zu einem denkbar schlechten Augenblick, in dem man nicht nur darauf schielen sollte, seine persönliche Überzeugung auf Teufel komm raus an den Mann bringen zu wollen. Sondern es sollte auch taktisch und strategisch daran gedacht werden, dass momentan sämtliche Bagatellen dafür genutzt werden, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen – und Skandale dort hervorzutun, wo es bei nüchterner Betrachtung nichts Anstößiges zu finden gibt. Und so mag es Tino Chrupalla möglicherweise wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein, dass seine Entscheidung mit der Co-Vorsitzenden Alice Weidel übertrieben, unangemessen und für die Partei schädlich war, dem Spitzenkandidaten ein Auftrittsverbot aufzuerlegen – und ihn gleichzeitig zum Rückzug aus dem Bundesvorstand zu drängen.
Dass er erst verzögert in den Angriffsmodus überging – und die internationalen Freunde für ihre Einmischung in interne Angelegenheiten rügte, dürfte wiederum der Zerrissenheit verschiedene Lager und Strömungen in den Reihen der Blauen geschuldet gewesen sein. Denn es waren die Gemäßigten, die mit Konsequenz auf die Reaktion der beiden Sprecher Einfluss nehmen wollten – und zumindest für einen Moment obsiegten. Insgesamt zeigte sich die Kommunikation der Alternative als einigermaßen desaströs. Es wäre völlig ausreichend gewesen, auf den Kontext hinzuweisen, in welchen die Antwort von Krah in seinem Interview mit „La Repubblica“ eingebettet war, um sämtlichen Interpretationen, Deutungen und Falschbehauptungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch man ließ es zu, dass ein weiterer Keil in eine politische Kraft getrieben wird, die seit jeher Probleme mit ihrer Einheit hat. Solch innere Zwistigkeiten haben bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass es zu einer Erodierung, medial mit Freude begleiteten Zerwürfnissen und diversen Abspaltungen kam – und man in der öffentlichen Wahrnehmung an Ruf und Integrität verlor. Auch damals ging es schon um existenzielle Belange einer Partei, die weiterhin daran arbeiten muss, die Solidarität mit den eigenen Leuten vor eine reflexartige Schadensbegrenzung zu stellen – wo es zumindest aus Sicht der immanenten Wählerschaft gar keinen Scherbenhaufen zu beseitigen gibt. Dieser entstand nämlich nicht durch die Einlassungen ihres Frontmannes für die Abstimmung am 9. Juni, sondern erst im Zuge der demonstrativen Distanzierung durch das RN.
Darüber hinaus war es das willkürliche Sanktionieren des nicht erst seit dem stundenlangen Gespräch mit Tilo Jung in Ansehen, Respekt und Wertschätzung gewachsen Zugpferdes, mit dem man dem externen Beobachter das Signal aussendete, sich von Paris erpressen zu lassen – und die Unität der AfD auf Druck von medialen Hetzkampagnen zu offenbaren. Und so schien zuletzt der Druck auf die Führungsriege deutlich zugenommen zu haben, wenn sich Chrupalla nunmehr doch noch zu der unmissverständlichen Ansage überwinden musste, dass man sich jegliche Manipulation von Seiten ehemaliger Verbündeter verbitte. Allerdings wäre es deutlich authentischer, fairer und couragierter gewesen, hätte es nicht die Empörung und den Protest von der Basis gegeben, den Verrat der Bundesspitze an Krah mit scharfen Worten zu kritisieren. Wer in der Politik von allen Seiten attackiert wird, sollte nicht in die Versuchung geraten, die giftigen Pfeile der sich am Ende als Feinde entpuppenden Alliierten aufzufangen – und damit in die Falle zu tappen, die nicht zufällig durch ein Konglomerat an willfährigen Genossen Brüssels gestellt wurde. Sondern man wäre gut beraten, sich mit aller Kraft um Treue zu bemühen – und sich schützend vor denjenigen zu stellen, der zwar möglicherweise nicht allzu weitsichtig gehandelt hat, als er sich darauf einließ, das schwierige Thema SS ausgerechnet in der jetzigen Atmosphäre zu diskutieren. Der sich seinerseits aber stets als loyaler Teil der Mannschaft verstanden hat. Und so ist es zwar spät, aber immer noch besser als nie, dass man sich nun wieder auf die gemeinsamen Ziele einer radikalen politischen Trendwende konzentriert – und Meloni oder Le Pen in die Schranken verweist.