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Ein Gericht auf Abwegen: „Jedem das Deutsche und allem das Seine“?

Kommentar von Dennis Riehle

Während man in den USA ohne jede Scham und sogar mit voller Inbrunst „America first“ ruft, ist die Aneinanderreihung von drei ähnlich konnotierten und in der Intention auf das Gleiche hinauslaufenden Worten in Deutschland mit Gefängnisstrafe bedroht. Einmal ganz abgesehen von dem zu deutlich mehr als einer bloßen Anekdote taugenden Umstand, dass gegen Björn Höcke in einem Gebäude der Prozess gemacht wird, welches noch immer eine Inschrift trägt, die man gleichsam auf dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald findet, fragt man sich auch, welchen Sinn manche Paragrafen in unseren Gesetzbüchern erfüllen sollen, die laut Aussage einer Gerichtssprecherin dazu dienen, nationalsozialistisches Gedankengut aus dem Alltag zu verbannen. Was in Österreich unter der Begrifflichkeit der „Wiederbetätigung“ zusammengefasst wird, stellt zweifelsohne eine auch in der hiesigen Mehrheitsgesellschaft als Konsens geltende Ambition dar, die Ideologie des Dritten Reiches „nie wieder“ neu aufleben zu lassen. Doch lässt sich aus der Verwendung einer einigermaßen unanstößigen Formulierung nur deshalb eine faschistoide Gesinnung zwingend ableiten, weil diese Vokabeln in derselben Reihenfolge auch von der verbrecherischen, bestialischen und brutalen Kampforganisation in Hitlers Regime als Ansporn, Ermutigung und Hetze gegen alles Fremde genutzt wurden?

Natürlich wird es unter der Tatsache schwerfallen, dass ein ehemaliger Geschichtslehrer angeklagt ist, Unwissenheit unterstellen zu können. Für mich geht es also weniger um die Frage, ob der thüringische AfD-Politiker bewusst oder in mangelnder Kenntnis „Alles für Deutschland“ rief. Sondern ob wir uns nicht in eine allzu entlarvende Doppelmoral und Widersprüchlichkeit begeben, wenn wir auf der einen Seite zu Recht ein Hofieren der Mentalität dieser SA-Schergen von früher verhindern wollen. Aber andererseits selbsternannte Verteidiger der Freiheit auf unseren Straßen beklatscht werden, die – wie aber auch manch eine Innenministerin, ein Verfassungsschützer oder wachsame Parteienkartelle – in aller Unbedarftheit und ohne jegliche Genanz konservative, patriotische oder identitäre Mitbürger als Nazis, Dreck oder Tiere bezeichnen. Da wünschen wir uns eine stetige Auseinandersetzung mit der Mahnung und Verantwortung, welche uns aus den dunkelsten Stunden der Geschichte mit auf den Weg gegeben wurden. Gleichzeitig aber soll die Historie nicht nur aus unseren Köpfen, sondern auch aus dem Sprachschatz gestrichen werden.

Das passt nicht wirklich zueinander. Und es führt zwangsläufig zu der Debatte darüber, was an der inhaltlichen Botschaft verwerflich sein soll – welche ohne geschichtliche Konnotation wohl kaum Aufsehen erregen würde. Denn es ist für nahezu jede andere Gesellschaft auf dem Erdball eine selbstverständliche Normalität, zunächst einmal das Augenmerk auf das Wohl des eigenen Volkes zu richten – ehe man sich zum Weltenretter und Sozialamt für den globalen Süden und Osten aufspielt. Dieses Vorrangigkeitsgebot kennen wir bereits aus der Bibel. Und mit ihm ist mitnichten eine Ausgrenzung, Ablehnung oder gar Bekämpfung von Menschen aus der Ferne verbunden, die man allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit pauschal herabwürdigt. Denn nicht jede Präferierung führt automatisch auch zu einer Benachteiligung. Dass man sich als Nation in erster Linie um die Ausgegrenzten in seiner ursprünglichen Gemeinschaft kümmert, ehe man den erwirtschaften Wohlstand, verbliebene Kapazitäten und überschüssige Ressourcen auch mit dem Auswärtigen teilt, leuchtet mit einem nicht von Verachtung und Hass gegenüber sich persönlich verdeckten Verstand all jenen ein, die die Weisheit verinnerlicht haben, dass Nächstenliebe nur dann möglich ist, wenn man auch sich selbst leiden kann. Höcke immer wieder eine Verhaftung im Damals andichten zu wollen, weil er eine mit Stolz getragene Befürwortung seiner Wurzeln und seiner Prägung nach außen kehrt, erweist sich in einer vernünftigen Logik ebenso haltlos wie die Annahme, dass er die Würde des Einzelnen deshalb beschneidet, weil er sich dafür ausspricht, dass Kinder mit einer Behinderung auch weiterhin Zugang zu Förderschulen bekommen sollen – und sich nicht im Idealismus der Eltern nach vollständiger Inklusion dem Regelunterricht aussetzen müssen, der sie im Zweifel nicht nur überfordert und abhängt, sondern unzureichend auf die Stärken und Schwächen des im christlichen Menschenbild als einzigartiges und ungleichen Individuums eingehen kann. Und dass es dem als „Rechtsextremist“ gebrandmarkten Abgeordneten der Alternative für Deutschland auch nicht um „Führerkult“ oder „Diktatursehnsucht“ geht, beweisen seine Einlassungen in verschiedenen Interviews immer wieder deutlich, in denen er sich für eine weitere Entwicklung unseres repräsentativen Systems in Richtung plebiszitärer Verhältnisse ausspricht. Das hat also wahrlich nichts mit einer Bündelung der Macht bei einer einzigen Person zu tun. Sondern ist viel eher der Wunsch nach einer Rückkehr zu den Anfängen der Demokratie, als tatsächlich der Souverän noch das letzte Wort darüber hatte, wann ein Verhalten oder eine Äußerung als anrüchig oder sanktionierbar gelten sollte.

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