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Söder und Pistorius – die Rächer Selenskyjs?

Nein, Markus Söder ist nicht der wankelmütigste Politiker in Deutschland, denn mit dieser Behauptung würde man Wolfgang Kubicki Unrecht tun. Aber es ist auch der bayerische Regierungschef, der sich in die Riege derjenigen Beugsamen einreiht, die ihre Positionen durchaus nach dem jeweiligen Klima in der Bevölkerung auszurichten bereit und das eigene Rückgraft aufzugeben offenherzig sind – auch wenn er es im Gegensatz zum FDP-Bundestagsvizepräsidenten nicht stündlich, sondern lediglich jährlich tut. Wenn gerade ökologische Themen trenden, spricht sich der Franke kurzerhand für ein Vorziehen des Ausstiegs aus dem Verbrennermotor aus – um in Zeiten einer grünen Flaute die Heizungswende der Ampel einkassieren zu wollen. Ein Vorreiter in Sachen Zuverlässigkeit ist er also nicht. Und dass sich der Nürnberger Christsoziale darüber hinaus ausschließlich dem Wohle des bajuwarischen Volkes verpflichtet fühlt, auch daran muss man in diesen Tagen Zweifel bekommen. Denn wer sich unverhohlen dafür ausspricht, nach der nächsten Wahl in Berlin eine Koalition mit SPD-Minister Pistorius zu präferieren, bei dem sollte man entsprechende Skepsis anlegen, ob er die alpenländische Weißwurst-Armee nicht ein wenig überschätzt.

Schließlich hofiert er mit einer solchen Ansage die Ankündigung zur Kriegstüchtigkeit unserer Republik gegenüber dem Angreifer aus Moskau, der nach Auffassung von amerikanischen Think Tanks in etwa sieben bis acht Jahren vor den Brandenburger Toren stehen wird. Ohnehin wundert es doch sehr, warum aktuell eine derart in blinder und naiver Solidarität zu Selenskyj stehende Rachsucht um sich greift, mit Putin noch ein Hühnchen rupfen zu wollen. Denn genauso wenig, wie die deutsche Sicherheit am Hindukusch verteidigt wurde, wird auch Europas Freiheit nicht am Donbass verteidigt. Man könnte fast meinen, unsere Bundeswehr würde nur so vor Kampfeskraft strotzen – und wäre nach dem Sondervermögen in materieller, personeller und finanzieller Hinsicht nur allzu scharf darauf, ihre frisch angeschafften Unterhosen, Helme und Stiefel wieder einmal zur Schau stellen zu dürfen. Dass es der Pazifismus in der aktuellen Dekade nicht leicht hat, das beweisen auch die nur scheibchenweise nach außen dringenden Berichte über das bereits zu Beginn der militärischen Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und ihrem Nachbarn auf dem Tisch liegende Papier, das die Eskalation hätte beenden können. Es lag offenbar an der fehlenden Bereitschaft des Westens, auf eine Konfrontation zu verzichten – und sich bewusst und willentlich zumindest gegen mündliche Absprachen aus der Vergangenheit zu stellen, mit denen man dem Kreml eigentlich zugesichert hatte, auf eine weitere Expansion der NATO zu verzichten.

Dass man aber spätestens mit der Hinwendung Kiews zur Europäischen Union und den Maidan-Protesten gerade die Interessen der russophilen Bevölkerung im Osten vernachlässigt und sich alle Präsidenten nach Janukowytsch für den Einfluss insbesondere der USA starkgemacht haben, wird in diesen Tagen besonders von jenen verschwiegen, die sich für weitere Waffenlieferungen und damit auch ein Fortführen des sich abnutzenden Stellvertreterkonflikts aussprechen. Die mit Logik kaum zu fassende Tatsache, dass wir uns so vehement mit Unsummen in diese Schlacht einmischen, hängt nicht zuletzt mit der unkritischen Bindung an die transatlantische Allianz moralisierender Weltpolizisten zusammen, die noch immer davon ausgeht, dass die Verbreitung ihrer hehren und richtigen Werte im Zweifel auch mit Gewalt umgesetzt werden müsse. Es ist für mich ohne Zweifel, wonach der bestialische Überfall auf ein fremdes Territorium völkerrechtlich inakzeptabel war – wenngleich man mit ein wenig Abstand, Unvoreingenommenheit und Interesse für die Zusammenhänge und Entstehungsgeschichten solch hochkomplexer Geschehnisse durchaus Beweggründe nachvollziehen kann, aber die Schlussfolgerungen daraus nicht akzeptieren muss.

Weil gerade Deutschland in seiner eigenen Historie keine guten Erfahrungen mit Brutalität gemacht hat, ist es umso bezeichnender, dass der Reiz zu neuer Aggression im Augenblick derart verlockend ist. Man könnte einerseits von einer weiteren Nebelkerze ausgehen, die das Establishment zur Ablenkung der Öffentlichkeit vom Versagen aller Kartellparteien hierzulande zu zünden bereit ist – und dabei sogar mit der Integrität und Unversehrtheit der Bundesrepublik hantiert. Manch ein dem Verstand verschriebener Verschwörungstheoretiker könnte aber auch auf die völlig banale und von Röttgen, Hofreiter oder Strack-Zimmermann in umgehender Empörung zurückgewiesene Idee kommen, dass die Produzenten von Rüstungsgütern den Hals nicht voll bekommen. Es ist ja kein Geheimnis, dass sie ähnlich wie die Erneuerbaren-Industrie massiven lobbyistischen Druck auf die Politik ausüben. Das Bestreben der sukzessiven Verstärkung eines unverantwortlichen Säbelrasselns und einer unseligen Panikmache zugunsten sprudelnder Milliarden ist ein Spiel mit dem Feuer – bis man gegebenenfalls nicht mehr in der Lage ist, das Risiko eines tatsächlichen Feldzuges noch eigenmächtig und kalkulierbar wegwenden zu können. Es mag zwar einigermaßen erstaunlich anmuten, dass man für ein solches Unterfangen sogar einen provinziellen Ministerpräsidenten anheuern würde. Allerdings bieten sich mittlerweile so viele mehr oder weniger bedeutsame Vertreter der herrschenden Klasse der Kungelei an, dass man es natürlich auch manchem B-Promi zutrauen könnte.