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Wer würde sie nicht für sich ausnutzen, die deutsche Duldsamkeit?

Kommentar von Dennis Riehle

Es ist neben Klimawandel, Ukraine oder Gendern eines der Schlagworte, das in diesen Tagen in unserem Land inflationär gebraucht wird – und sich damit zunehmend abnutzt. Die „Toleranz“ gehört als unbedingtes Totschlagargument zu sämtlichen Debatten, an denen vornehmlich jene linken Bürger teilnehmen, in deren Märchenwelt von morgen sowohl Milch, Honig und LNG-Gas fließen – und sich Menschen unterschiedlichster Couleur angesichts von mühsam erkämpftem Weltfrieden und der Abstinenz des CO2 in den Armen liegen. Es gehört zu ihrer stringenten Auffassung, dass Nächstenliebe und Barmherzigkeit siegen werden. Doch was auf den ersten Blick nahezu christlich anzumuten scheint, offenbart sich in der Konsequenz nicht nur als eine Selbstaufgabe und Bankrotterklärung. Sondern auch als eine Vision, für die es einerseits einer enormen Gutgläubigkeit und Naivität bedarf. Und die darüber hinaus mit Humanität oder Gerechtigkeit wenig zu tun hat. Schließlich kann es Fairness nur dort geben, wo Rechtsstaatlichkeit und Regelhaftigkeit gelten. Denn sie sind das normative Gerüst und der Maßstab zur Wegweisung in einer Gemeinschaft, die in der Utopie der Vielfalt schon allein deshalb verloren wäre, weil es gerade Grünen-Politiker waren, die dieses Ideal eines Ethnopluralismus als unpraktikabel und für gescheitert erklärt haben. So stellte einst Daniel Cohn-Bendit unverhohlen ehrlich fest: „Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt“.

Denn eigentlich sollte man mit ein wenig Abstand und Distanz zu einer ähnlichen Einsicht gelangen, dass ein obsessiver, verordnetes Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen auf einem geografisch begrenzten Raum zu massiven Spannungen führen muss, weil es an Leitmotiven und einer Richtschnur fehlt – auf welche man sich verbindlich verständigen und als Konsens berufen kann. Das Miteinander von Vertretern der verschiedenen Stämme auf diesem Erdball, die von der Evolution nicht ohne Grund mit vergleichbaren Identitätskennzeichnungen ausgestattet wurden, um sich orientieren und als zugehörig wahrnehmen zu können, scheint von der Natürlichkeit weder gewollt, noch als ein erstrebenswerter Zustand deklariert worden zu sein. Immerhin war es der Lauf der Zeit, der die Verbünde auf den Kontinenten mit jeweils einer eigenen Sprache, Religion, Tradition, Brauchtum, Prägung, Historie, Aufklärung, Werten, Sittlichkeit und Ursprung ausgestattet hat – um sich unter ihresgleichen beheimatet zu fühlen. Es ist gerade der Respekt vor dieser Singularität und Exklusivität einer jeden Spezies, die sich mit einer Ideologie eines zwanghaft oktroyierten Formenreichtums nicht in Einklang bringen lässt. Denn Achtung kann es nur dort geben, wo die Integrität des Anderen anerkannt und nicht verwischt wird. In einer Gesamtheit, welche vor Diversität und Gleichheit im selben Maße strotzt, kann dies nur unter der Negierung von Individualität und Alleinstellungsmerkmalen funktionieren. Es ist ein dem Sozialismus innewohnendes und in der Vergangenheit mehrfach misslungenes Bestreben zur Einebnung sämtlicher Eigenheiten zugunsten eines Kollektivismus, der nicht nur dem christlichen Menschenbild zutiefst widerspricht. Denn größtmögliche Entfaltung von Person und Clique kann es nur dort geben, wo ein Mindestmaß an Konformität und Normativität gewährleistet ist. Wiederum kann es zu Übereinkunft und Kompromiss am ehesten dort kommen, wo Kontrast, Polarität und Dualismus zum Fremden am geringsten ausgeprägt sind. Die Aufgabe der eigenen Entität aus dem Willen der Harmonisierung heraus führt in der logischen Folge allerdings erneut zur Ausbildung von Mehrheit und Macht – allerdings bei denjenigen, die zuvor in der Minderheit und Herrschaft gewesen sind. Daher führen Rücksichtnahme, Duldsamkeit und Nachsicht zu einer sukzessiven Umwälzung bestehender Verhältnisse und überführen eine gewachsene, gefestigte und funktionierende Wesenseinheit in eine Homogenität unter anderer Führung, welche sich das von Popper beschriebene Paradoxon zunutze gemacht hat. Denn wer aus falsch verstandenem Verständnis, Entgegenkommen und Aufgeschlossenheit die persönliche und souveräne Totalität herschenkt, wird zu einem gefundenen Fressen für jene, denen diese Indulgenz nichts bedeutet – und die sie auch nicht anzuwenden bereit sind, wohl aber nicht vor ihrer Instrumentalisierung und ihrem Ausnutzen zurückschrecken. Dass sich also gerade die vielen Gäste aus nah und fern bei uns ins Fäustchen lachen, weil ihnen der Missbrauch unserer Milde und Großzügigkeit noch nie so leicht gemacht wurde, kann man niemandem verübeln, der sich zwischen den fügsamen und bisweilen proskynetisch anmutenden Deutschen ansiedelt.

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