Kommentar von Dennis Riehle
Das Bundesverfassungsgericht hat die Meinungsfreiheit im Gegensatz zu Frau Faeser oder Herrn Haldenwang bisher immer hochgehalten – und im Zweifel bei etwaigen Abwägungen diesem Grundrecht regelhaft den Vorrang gegeben. Daher ist die Entscheidung aus Karlsruhe, die Verurteilung eines Klimaaktivisten aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an die zuständige Instanz zurückzuverweisen, zunächst einmal nicht sonderlich verwunderlich. Denn diese hatte tatsächlich keine hinreichende Überprüfung vorgenommen, inwieweit Aussagen des Mannes mit diesem Anspruch auf ungehinderte Äußerung von Wertungen, Beurteilungen oder Zuschreibungen nicht doch vereinbar sind. Und natürlich bekommt der Fall in diesen Tagen einen besonderen Beigeschmack, weil wir um die Bestrebungen der Bundesinnenministerin und ihres Behördenchefs wissen, die die Artikulation von Überzeugungen gegebenenfalls auch unter der Grenze des Sanktionierbaren ahnden oder als Anlass zur Überwachung sehen möchten – sofern diese aus ihrer Perspektive in der Lage sind, die Demokratie zu gefährden, die Gesellschaft zu desinformieren oder die Regierung anzutasten. Und so muss man sich durchaus fragen, ob die Roten Roben bei Bedarf tatsächlich auch dann für die offene Rede votieren würden, wenn es nicht um einen Ökologisten geht, sondern um einen rechtsextrem Gebrandmarkten.
Wie schnell man heutzutage Besuch von der Kavallerie am frühen Morgen bekommt und sich im Zweifel auch einer Gefährderansprache samt umfangreicher Hausdurchsuchung stellen muss, davon können mittlerweile einige Bundesbürger ein Lied singen – die Schlümpfe posten, verdächtige Ziffern aneinanderreihen oder anrüchige Symbolik teilen. Die in Artikel 5 des Grundgesetzes verbriefte Lizenz auf Wiedergabe der eigenen Positionen kann nach wiederholter Rechtsprechung der obersten Juristen im Land nicht verboten werden – und findet ihre Beschränkung ausschließlich in den Gesetzen. Und damit sind die geltenden Paragrafen gemeint. Nicht jene Bestimmungen, die vielleicht auch Frau Paus vorschweben. Denn letztlich sind die Gedanken und Verlautbarungen bei uns nicht nur frei, sondern sie können sich durchaus eines Freifahrtscheins rühmen – auch wenn der Verfassungsschutz dieser Tatsache vehement widerspricht. Schließlich müssen am Ende schwerwiegende Interessen gegen die unbehelligte Verbreitung der eigenen Haltung, Sichtweise und Warte sprechen, die diese als eines der höchsten Güter in einer demokratischen Ordnung beschneiden oder untersagen können. Hier genügt sicherlich nicht die völlig diffuse und kaum greifbare Erfordernis, etwas müsse mit der Harmonie unseres Miteinanders vereinbar sein, um ausgesprochen werden zu dürfen. Denn es zählt allenfalls die Verwundbarkeit und die Herabwürdigung des Einzelnen, aber nicht eines vagen Staates.
Letztlich liegt es ja gerade im Wesen der Volksherrschaft, dass sie Einiges ertragen muss. Immerhin ist zunächst einmal die Kundgabe jeder Ideologie und Weltanschauung zulässig – ausdrücklich auch für den mehr oder weniger eindeutigen Fall von Blickwinkeln, die sich gerade nicht mit den Prinzipien unserer Gemeinschaft, des vorherrschenden Systems oder dem Wertegerüst in Einklang bringen lassen, das eine Mehrheit verteidigen und bewahren möchte. Auch braucht es keine Argumentation für bestimmte Standpunkte, sie müssen nicht begründet werden. Die einzige Limitierung, die dem Geschriebenen oder Gesprochenen gesetzt werden kann, das sind vor allem die Persönlichkeitsrechte von Individuen, wenn diese schwerwiegend in die Würde, in den Ruf oder in die Integrität eingreifen – oder offensichtlich und indiskutabel als Straftaten klassifiziert werden können. Es wird entsprechend interessant zu beobachten sein, was man von Seiten der Rechtsgelehrten hören wird, wenn ihnen eine erste Konstellation auf dem Tisch liegt, in der etwas dargebracht wurde, was außerhalb dieser Normierung liegt – und lediglich deshalb durch die Judikative verbannt werden soll, weil es die Gefühle einer sich nur noch mit Repression, Lüge und Falschbehauptungen im Amt halten könnenden SPD-Politikerin verletzt. Denn der Maßstab für Sagbares in unseren Breiten liegt nicht in der psychischen Widerstandskraft einer Amtsträgerin. Prinzipiell muss bei allem, was hierzulande ein Mensch formuliert, zuerst einmal im Sinne dubio pro reo unterstellt werden, dass es sich um eine legitime Einlassung handelt, welche nur dann Konsequenzen haben kann, wenn die Absicht zur bewussten Verächtlichmachung einer anderen Person oder dessen Ehre besteht – oder aber ein aktiver Aufruf zu Gewalt, Aufwiegelung oder Anstachelung vorliegt, der weit über das Provokative und Kritische hinausgeht. Denn natürlich müssen wir uns in unserer liberalen Sozietät auch Postulate geduldig anhören, die zur Überwindung der bestehenden Strukturen animieren – solange hiermit kein physisches Niederringen aktueller Machtverhältnisse gemeint ist. Skepsis, Zweifel oder gar Ablehnung von demokratischen Rahmenbedingungen sind allemal statthaft. Niemand kann gezwungen werden, den Parlamentarismus oder die repräsentative Gestalt unseres politischen Miteinanders gutzuheißen. Solange ein ideelles Bedürfnis nach einer anderen als der republikanischen Erscheinung unserer Nation vertreten wird, besteht keinerlei Befugnis, diesem durch Zensur oder Gängelung entgegenzutreten. Es genügt also nicht, die Schwelle des Zulässigen zu berühren, sondern sie muss deutlich überschritten werden, um die Distribution von Worten unterbinden und ihre Verursacher maßregeln zu können. Denn genau hierin liegt der schmale Grat hin zum Totalitären, in dem die Obrigkeit das Informationsmonopol besitzt.